Sozialrecht 2 BvR 653/20 - Verfassungswidrige Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei unvorhergesehener Erkrankung am letzten Tag einer Frist

  • In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

    gegen

    a) den Beschluss des Amtsgerichts Diepholz
    vom 21. Februar 2020 - 18 OWi 114/18 -,

    b) den Beschluss des Amtsgerichts Diepholz
    vom 30. September 2019 - 18 OWi 114/18 -

    hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts

    am 14. Februar 2023 einstimmig beschlossen:

    1. Der Beschluss des Amtsgerichts Diepholz vom 30. September 2019 - 18 OWi 114/18 - verletzt den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG (Grundgesetz).

    2. Der Beschluss des Amtsgericht Diepholz vom 30. September 2019 - 18 OWi 114/18 - wird aufgehoben.

    3. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Diepholz zurückverwiesen.

    4. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

    5. Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
    Gründe:

    I.
    1
    Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Einspruchsfrist in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren.
    21. Mit Bußgeldbescheid vom 25. Januar 2018 setzte das Jobcenter im Landkreis Diepholz gegen den Beschwerdeführer eine Geldbuße in Höhe von 500 Euro wegen des Vorwurfs des Verstoßes gegen eine sozialrechtliche Mitteilungspflicht fest. Der Bescheid ging dem Beschwerdeführer am 27. Januar 2018 zu.
    32. Mit Schreiben vom 19. Februar 2018 erhob der Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid Einspruch und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Einspruchsfrist. Zur Begründung führte er aus: Der Bußgeldbescheid sei ihm am 27. Januar 2018 zugegangen; die Einspruchsfrist sei demnach am 12. Februar 2018 abgelaufen. Vom 12. bis 14. Februar 2018 habe er an einem fieberhaften grippalen Infekt gelitten und sei daher nicht in der Lage gewesen, seinen geschäftlichen Angelegenheiten nachzukommen. Der Einspruchsschrift fügte er ein Attest eines Facharztes für Allgemeinmedizin bei, aus dem hervorgeht, dass der Beschwerdeführer in der Zeit vom 12. bis 14. Februar 2018 an einem fieberhaften grippalen Infekt gelitten habe und deshalb verhandlungs- und reiseunfähig gewesen sei. Infolgedessen habe er seinen geschäftlichen Angelegenheiten nicht nachkommen können.
    43. Mit Bescheid vom 21. Februar 2018 verwarf das Jobcenter den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zwischen dem 27. Januar 2018 und dem 11. Februar 2018 sei er nicht gehindert gewesen, Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zu erheben. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung könne demnach nicht entsprochen werden.
    5Mit Schreiben vom 8. März 2018 stellte der Beschwerdeführer Antrag auf gerichtliche Entscheidung, da der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht verworfen worden sei.
    6Nachdem das Amtsgericht Diepholz zunächst allein den Wiedereinsetzungsantrag verworfen (Beschluss vom 11. April 2019) und das Landgericht Verden diesen Beschluss mit Verweis darauf, dass keine eigenständige Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag zu treffen, sondern über die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Jobcenters zu befinden sei, aufgehoben hatte (Beschluss vom 29. August 2019), wies das Amtsgericht Diepholz den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung mit Beschluss vom 30. September 2019 als unbegründet zurück. Die Verwaltungsbehörde habe den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht verworfen. Der Beschwerdeführer habe nicht erklärt, warum er zwischen dem 27. Januar 2018 und dem 11. Februar 2018 an der Einlegung des Einspruchs gehindert gewesen sei. Auch habe er nicht dargelegt, warum er seinen Wiedereinsetzungsantrag nicht unmittelbar nach Ablauf des 14. Februar 2018, sondern erst später gestellt habe.
    74. Mit Schreiben vom 18. Oktober 2019 erhob der Beschwerdeführer Anhörungsrüge, die das Amtsgericht Diepholz mit Beschluss vom 21. Februar 2020 zurückwies.

    II.
    81. Mit seiner am 5. November 2019 fristgerecht erhobenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Diepholz vom 30. September 2019 und 21. Februar 2020. Er rügt eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 103 Abs. 1 GG. Darüber hinaus beantragt er die Erstattung seiner notwendigen Auslagen.
    9Der Beschwerdeführer steht auf dem Standpunkt, das Amtsgericht Diepholz habe seine Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, indem es in entscheidungserheblicher Weise sein Recht, gesetzliche Fristen vollständig auszuschöpfen, verletzt habe. Das Amtsgericht gehe davon aus, dass er nicht hinreichend erklärt habe, warum er nicht schon in der Zeit vom 27. Januar 2018 bis 11. Februar 2018 Einspruch erhoben habe. Gemäß § 52 OWiG in Verbindung mit §§ 44 StPO, 45 StPO sei jemandem, der ohne Verschulden verhindert gewesen sei, eine Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er diesen Antrag innerhalb einer Woche nach dem Wegfall des Hindernisses stelle. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, er habe ausreichend dargelegt und nachgewiesen, dass er aufgrund einer Erkrankung an der rechtzeitigen Einlegung des Rechtsbehelfs ohne Verschulden verhindert gewesen sei. Zudem habe er fristgerecht binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses der Erkrankung den entsprechenden Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt. Das Amtsgericht habe in seiner Entscheidung nicht darauf abgestellt, dass er bei Fristablauf nicht unverschuldet verhindert gewesen sei, sondern vertrete die Auffassung, er habe nicht erklären können, weshalb er nicht schon im Zeitraum vom 27. Januar 2018 bis 11. Februar 2018, also vor seiner unvorhergesehenen Erkrankung, Einspruch erhoben habe.
    102. Das Niedersächsische Justizministerium hat von einer Stellungnahme abgesehen.
    113. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat erklärt, gegen die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde bestünden keine Bedenken. Die Verfassungsbeschwerde sei auch begründet; der Beschwerdeführer sei in seinen Rechten aus Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Er habe das Recht, Fristen vollständig auszuschöpfen. Die Nachholung einer unverschuldet versäumten Rechtshandlung sei innerhalb einer Woche gestattet. Das Amtsgericht habe unzutreffende Maßstäbe hinsichtlich des Verschuldens angewandt.
    124. Der Beschwerdeführer ist den Ausführungen des Generalbundesanwalts beigetreten.
    135. Die Akten der behördlichen und fachgerichtlichen Verfahren haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
    III.
    141. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit sie sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts Diepholz vom 30. September 2019 richtet, da dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (vgl. § 93a Abs. 2 Buchst b BVerfGG). Die insoweit für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Soweit sie sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts Diepholz vom 21. Februar 2020 richtet, wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, da sie nicht zulässig ist.
    152. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Diepholz vom 30. September 2019 richtet, ist sie zulässig und im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet.
    16a) Die Verfassungsbeschwerde ist in diesem Umfang zulässig. Insbesondere wahrt sie noch die Anforderungen an eine hinreichend substantiierte Begründung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG.
    17aa) Nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG ist es erforderlich, dass der die Rechtsverletzung enthaltende Vorgang substantiiert und schlüssig vorgetragen wird (vgl. BVerfGE 81, 208 <214>; 89, 155 <171>; 99, 84 <87>; 108, 370 <386 f.>; 113, 29 <44>; 115, 166 <179 f.>; 130, 1 <21>; 149, 86 <108 f. Rn. 61>; 151, 67 <84 f. Rn. 49>). Bei einer gegen eine gerichtliche Entscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerde hat sich der Beschwerdeführer mit dieser in der Regel ins Einzelne gehend inhaltlich auseinanderzusetzen (vgl. BVerfGE 82, 43 <49>; 86, 122 <127>; 88, 40 <45>; 105, 252 <264>; 140, 229 <232 Rn. 9>). Es muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll; soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, müssen diese herangezogen werden (vgl. BVerfGE 77, 170 <214 ff.>; 78, 320 <329>; 101, 331 <345 f.>; 105, 252 <264>; 130, 1 <21>; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. November 2021 - 2 BvR 1473/20 -, Rn. 16). Liegt zu den mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Fragen bereits Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor, so ist der behauptete Grundrechtsverstoß in Auseinandersetzung mit den bereits entwickelten Maßstäben zu begründen (vgl. BVerfGE 77, 170 <214 ff.>; 99, 84 <87>; 101, 331 <345 f.>; 123, 186 <234>; 140, 229 <232 Rn. 9>; 142, 234 <251 Rn. 28>). Wenn die Verletzung eines verfassungsbeschwerdefähigen Rechts aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts und der Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung und deren Begründung auf der Hand liegt, gelten im Hinblick auf die Darlegung des Verfassungsverstoßes geringere Anforderungen, sodass die Verletzung eines verfassungsbeschwerdefähigen Rechts nicht im Einzelnen anhand der einschlägigen verfassungsrechtlichen Maßstäbe dargelegt werden muss (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Dezember 2016 - 2 BvR 1997/15 -, Rn. 13 m.w.N.).
    18bb) Obgleich der Beschwerdeführer darauf verzichtet hat, im Rahmen seiner Verfassungsbeschwerdeschrift vertiefte Ausführungen zu der Reichweite der von ihm geltend gemachten verfassungsmäßigen Rechte und der vom Bundesverfassungsgericht hierzu entwickelten Maßstäbe zu machen, genügen seine Ausführungen diesen Anforderungen noch, denn er hat sich hinreichend mit den angegriffenen Entscheidungen auseinandergesetzt und aufgrund seines Vortrages liegt der Verfassungsverstoß durch den Beschluss vom 30. September 2019 auf der Hand.
    19b) Die Verfassungsbeschwerde ist im oben dargestellten Umfang offensichtlich begründet. Der Beschluss des Amtsgerichts Diepholz verletzt den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG.
    20aa) Art. 19 Abs. 4 GG garantiert die Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 35, 263 <274>; 40, 272 <275>; 67, 43 <58>; 84, 34 <49>; 143, 216 <224 Rn. 18>). Davon umfasst ist zum einen das formelle Recht, überhaupt Gerichte einschalten zu können (vgl. BVerfGE 35, 263 <274>). Zum anderen ist die Effektivität des Rechtsschutzes und der gerichtlichen Kontrolle selbst Teil des Gewährleistungsgehalts des Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BVerfGE 35, 263 <274>; 40, 272 <275>; 51, 268 <284>; 61, 82 <110 f.>; 67, 43 <58>; 84, 34 <49>). Auch der Anspruch des Beschwerdeführers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) wird durch die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand berührt. Dieses Rechtsinstitut dient der Wahrung des Anspruchs aus Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 25, 158 <166>; 26, 315 <318>; 77, 275 <285 f.>). Wird die Wiedereinsetzung versagt, so wird dem Beschwerdeführer die Möglichkeit, seine Einwände wirksam vorzubringen, genommen.
    21bb) Das gerichtliche Verfahren und die Ausübung der Rechte aus Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG bedürfen der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber, die an dem Ziel, dem Betroffenen wirksamen Rechtsschutz und eine effektive Äußerungsmöglichkeit zu vermitteln, zu messen ist. Die Ausgestaltung muss zweckgerichtet, geeignet, erforderlich und zumutbar sein und darf keine unangemessenen prozessrechtlichen Hürden für den Zugang zu den Gerichten und die Gewährung rechtlichen Gehörs eröffnen (vgl. BVerfGE 60, 253 <268 f.>; 84, 34 <49>). Der Zugang zu einer gerichtlichen Entscheidung in der Sache darf daher – vorbehaltlich verfassungsunmittelbarer Schranken – in keinem Fall ausgeschlossen, faktisch unmöglich gemacht oder in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 40, 272 <274 f.>; 44, 302 <305 f.>; 149, 346 <363 Rn. 34>).
    22Zulässig ist es, den Zugang zu den Gerichten von der Erfüllung formeller Voraussetzungen, insbesondere von der Einhaltung bestimmter Fristen, abhängig zu machen (vgl. BVerfGE 9, 194 <199 f.>; 10, 264 <267 f.>). Die Anforderungen, die an den Rechtsschutzsuchenden dabei gestellt werden, dürfen jedoch nicht überspannt werden (vgl. BVerfGE 25, 158 <166>; 26, 315 <318>; 31, 388 <390>). Prozessuale Fristen dürfen deshalb bis zu ihrer Grenze ausgenutzt werden (vgl. BVerfGE 40, 42 <44>; 41, 323 <328>; 52, 203 <207>; 69, 381 <385>). Dass ein Betroffener bis zum letzten Tag der Frist abwartet, ehe er eine fristgebundene prozessrechtliche Erklärung abgibt, kann ihm daher grundsätzlich nicht vorgeworfen werden. Lediglich dann, wenn dem Betroffenen hinsichtlich der Fristversäumnis ein Verschulden zur Last gelegt werden kann, kann ihm die Säumnis vorgehalten werden mit der Folge, dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verweigert werden kann. Der Betroffene hat beispielsweise den Aufwand zu kalkulieren, der zeitlich und organisatorisch erforderlich ist, um den rechtzeitigen Eingang seiner Prozesserklärung in der vorgeschriebenen Form zu ermöglichen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 1 StR 74/14 -, juris, Rn. 6).
    23cc) Der Beschluss des Amtsgerichts Diepholz vom 30. September 2019 wird diesem Maßstab nicht gerecht. Das Amtsgericht verkennt die verfassungsrechtlichen Anforderungen, die an die Handhabung des Rechtsinstituts der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen sind.
    24Dies gilt zunächst für die Versäumnis der Einspruchsfrist aufgrund Krankheit. Das Amtsgericht stützt seine Entscheidung maßgeblich darauf, dass der Beschwerdeführer den letzten Tag der Einspruchsfrist abwartete, ohne darzulegen, warum ihm die Erkrankung, auf die er sich beruft, zum Vorwurf zu machen sein sollte. Es geht vorliegend gerade nicht darum, dass der Beschwerdeführer den für den rechtzeitigen Eingang des Einspruchs erforderlichen Aufwand falsch kalkulierte. Dies verkennt das Amtsgericht und verwehrt ihm damit das Ausschöpfen der Einspruchsfrist.
    25Auch die Anforderungen, die das Amtsgericht hilfsweise an die Nachholung der versäumten Prozesshandlung stellt, verkennen den oben dargestellten Maßstab. Nach § 52 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO hat der Beschwerdeführer im Falle schuldloser Säumnis die fragliche Prozesshandlung innerhalb einer Woche nachzuholen. Auch diese Frist kann er nach dem dargestellten Maßstab ausschöpfen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Juli 1998 - 2 Ws 385/98 -, juris, Rn. 4). Der Vorwurf, er habe nicht unverzüglich nach Wegfall der Erkrankung gehandelt, kann daher nicht als verfassungsrechtlich tragfähig angesehen werden.
    26dd) Die fachgerichtliche Entscheidung beruht auf diesem Verfassungsverstoß und kann daher nicht aufrecht erhalten bleiben. Das Amtsgericht Diepholz stützte sich allein auf diese verfassungsrechtlich unzulässigen Erwägungen.
    273. Soweit mit der Verfassungsbeschwerde der Beschluss des Amtsgerichts Diepholz vom 21. Februar 2020 angegriffen wird, ist sie unzulässig.
    28a) Der Beschluss, mit dem über eine Anhörungsrüge entschieden wird, kann nur dann Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein, wenn mit ihm eine eigenständige Beschwer verbunden ist (vgl. BVerfGE 119, 292 <294 f.>). Unterbleibt im Anhörungsrügeverfahren lediglich die Korrektur des vom Beschwerdeführer gerügten Fehlers, wird also – aus seiner Sicht – der vorangegangene Anhörungsverstoß nicht korrigiert, so liegt in der durch den Anhörungsrügebeschluss bewirkten Fortdauer des vorher schon begründeten Grundrechtsverstoßes keine neue Beschwer. In diesen Fällen besteht kein Interesse, im Wege der Verfassungsbeschwerde gegen den über die Anhörungsrüge gefassten Beschluss vorzugehen. Der ursprünglich gerügte Anhörungsmangel kann dann nur durch eine Verfassungsbeschwerde gegen die mit der Anhörungsrüge beanstandete Entscheidung geltend gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Juli 2007 - 2 BvR 496/07 -, juris, Rn. 2 f.; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 29. März 2007 - 2 BvR 547/07 -, juris, Rn. 8). Anderes gilt, wenn der Beschluss über die Anhörungsrüge dazu führt, dass bereits der Zugang zu dem Anhörungsrügeverfahren mit nicht tragfähiger Begründung versagt wird – zum Beispiel durch Ablehnung der Statthaftigkeit – und dieses Ergebnis bindend für den weiteren Prozess ist. Besteht eine andere fachgerichtliche Möglichkeit, die Korrektur des gerügten Gehörsverstoßes zu erreichen, nicht mehr, so liegt in dem Beschluss über die Anhörungsrüge eine eigenständige Beschwer (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Februar 2008 - 1 BvR 2327/07 -, Rn. 17; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 14. März 2007 - 1 BvR 2748/06 -, Rn. 11 f.).
    29b) Vorliegend wurde der Zugang zu dem Anhörungsrügeverfahren nicht verkürzt. Das Amtsgericht Diepholz betrachtete die Anhörungsrüge nicht als unzulässig, sondern legte in seiner Entscheidung dar, warum ein Gehörsverstoß aus seiner Sicht nicht vorlag. Dass das Amtsgericht dem hier festgestellten Gehörsverstoß nicht abhalf, begründet für sich genommen keine eigenständige Beschwer. Es sind auch keine anderen Umstände erkennbar, die die Annahme, der Beschluss vom 21. Februar 2020 enthielte eine eigenständige Beschwer, begründen könnte. Daher ist die Verfassungsbeschwerde diesbezüglich nicht zur Entscheidung anzunehmen.
    IV.
    30Der Beschluss des Amtsgerichts Diepholz vom 30. September 2019 wird aufgehoben; die Sache wird an das Amtsgericht Diepholz zurückverwiesen (§ 93c Abs. 2 BVerfGG i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG , § 90 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
    31Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Da der nicht zur Entscheidung angenommene Teil der Verfassungsbeschwerde von untergeordneter Bedeutung ist, sind die Auslagen in vollem Umfang zu erstatten (vgl. BVerfGE 86, 90 <122>).


    BVerfG-Beschluss vom 14. Febr 2023 - 2 BvR 653/20

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