Sozialrecht B 1 KR 15/22 R - Stationäre Notfallbehandlung trotz Verlegung des Patienten nach 60 Minuten

  • Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat mit Urteil vom 29. August 2023 (Aktenzeichen B 1 KR 15/22 R) die Voraussetzungen für die stationäre Aufnahme bei Notfallbehandlungen in einem Schockraum oder auf einer Schlaganfallstation (stroke unit) abgesenkt. Die Krankenhäuser können danach Notfallbehandlungen, die bisher nur ambulant abgerechnet werden konnten, vermehrt stationär abrechnen.

    Eine konkludente stationäre Aufnahme kann auch bei einer nur kurzzeitigen Notfallbehandlung und zeitnaher Verlegung in ein anderes Krankenhaus vorliegen. Voraussetzung hierfür ist, dass in dem erstangegangenen Krankenhaus die besonderen Mittel, die eine Krankenhausbehandlung ausmachen, intensiv genutzt werden. Eine stationäre Notfallbehandlung liegt demnach etwa dann vor, wenn ein multidisziplinäres Team im Schockraum oder auf einer stroke unit zusammenkommt und die dort vorhandenen besonderen apparativen Mittel umfassend in erheblichem Umfang zum Einsatz kommen. Auch bloße Diagnosemaßnahmen können insoweit eine Aufnahme begründen, wenn verschiedene und in ihrem engen zeitlichen und örtlichen Verbund nur stationär verfügbare diagnostische Maßnahmen erfolgen, die ambulant regelmäßig nicht in gleicher Weise verfügbar sind.


    Nach diesen Maßstäben hatte in dem zu entscheidenden Fall das klagende Krankenhaus gegenüber der Krankenkasse Anspruch auf die Vergütung einer vollstationären Behandlung. Es erfolgte eine konkludente Aufnahme des Schlaganfallpatienten in die stationäre Behandlung, indem er sofort auf die zertifizierte Schlaganfallstation gebracht und eine Untersuchung mit schnell aufeinander folgenden umfangreichen diagnostischen Maßnahmen eingeleitet wurde. Unerheblich ist, dass sehr schnell die Notwendigkeit der Verlegung feststand und diese eine Stunde nach der Aufnahme erfolgte.


    BSG-Urteil vom 29. Aug 2023, BSG PM 27/2023


    Aus dem Fall:


    Kliniken G. GmbH ./. Betriebskrankenkasse BPW Bergische Achsen KG

    Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.


    Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte K wurde am 5.7.2015 um 16:44 Uhr notfallmäßig durch den Rettungsdienst mit Verdacht auf Schlaganfall in das nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhaus der Klägerin eingeliefert. Das Krankenhaus verfügt über eine neurologische Aufnahmestation mit einer zertifizierten Schlaganfallstation (Stroke Unit). K wurde dort ab 16:45 Uhr behandelt, indem zunächst diagnostische Maßnahmen eingeleitet wurden (Blutuntersuchung, Ruhe-EKG, kraniale Computertomographie, Computertomographie-Angiographie). Das Krankenhaus erkannte bei K unter anderem einen akuten Hirninfarkt links im Bereich des Mediastromgebiets. Es leitete um 17:07 Uhr die Lysetherapie ein. K wurde um 17:45 Uhr zur kathetergestützten Thrombektomie unter Fortsetzung der Lysetherapie in das Kreiskrankenhaus S verbracht. Das Krankenhaus stellte der Krankenkasse die Fallpauschale DRG B70l (Apoplexie, ein Belegungstag) in Rechnung (1086,89 Euro). Die Krankenkasse beglich zunächst die Rechnung und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung, ein Prüfverfahren wegen primärer Fehlbelegung durchzuführen. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass kein Behandlungsplan über einen Zeitraum von einem Tag und einer Nacht im Krankenhaus bestanden habe. K sei prästationär behandelt worden. Die Krankenkasse rechnete die gesamte geleistete Vergütung gegenüber einer unstreitig entstandenen Forderung auf.


    Das Sozialgericht hat die Krankenkasse zur Zahlung von 114,02 Euro verurteilt. Die durchgeführten Maßnahmen im Behandlungsfall K seien als prä- oder vorstationäre Maßnahmen abzurechnen gewesen, für die ein Vergütungsanspruch bestehe. Das Sozialgericht hat im Übrigen (972,87 Euro) die Klage abgewiesen. Die Restforderung sei durch die Aufrechnung erfüllt worden. Das Krankenhaus hat dagegen Berufung eingelegt. Die Krankenkasse hat die ihrerseits eingelegte Anschlussberufung später zurückgenommen und die im Berufungsverfahren hilfsweise erhobene Widerklage im weiteren Verlauf als "nicht mehr beachtenswert" bezeichnet. Das Landessozialgericht hat die auf Zahlung weiterer 972,87 Euro nebst Zinsen gerichtete Berufung des Krankenhauses zurückgewiesen und unter anderem zur Begründung ausgeführt, die Aufrechnungsbefugnis sei nach der Prüfverfahrensvereinbarung 2014 eröffnet. Es könne deshalb offenbleiben, ob der nordrhein-westfälische Landesvertrag über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung ein Aufrechnungsverbot vorsehe. Die Aufrechnung sei in Höhe von 972,87 Euro wirksam erfolgt. Das Krankenhaus habe keinen Anspruch auf Vergütung einer vollstationären Behandlung. Dies hätte einen Behandlungsplan erfordert, der bereits auf die Behandlung des Versicherten K für die Dauer mindestens eines Tages und einer Nacht unter vollstationären Bedingungen hätte ausgerichtet gewesen sein müssen. Während der Abklärungsuntersuchung sei jedoch die Entscheidung zur Weiterbehandlung im Kreiskrankenhaus S getroffen worden. Weder die Behandlung auf der Schlaganfallstation noch die Einleitung der Lyse vor der Verlegung spreche für den Beginn der vollstationären Behandlung im klagenden Krankenhaus. Der Erstattungsanspruch sei auch nicht verjährt. Im Übrigen habe die KK die hilfsweise erhobene Widerklage zurückgenommen.


    Das Krankenhaus rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 39 SGB V und des § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Satz 1 sowie Abs. 2 KHEntgG und § 9 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG, § 17b KHG sowie des § 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG.


    Verfahrensgang:

    Sozialgericht Köln, S 23 KR 1044/17, 13.07.2018

    Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, L 11 KR 542/18, 24.03.2021


    Die Revision des klagenden Krankenhauses hatte Erfolg. Der beklagten Krankenkasse stand kein Erstattungsanspruch im Behandlungsfall K zu. Die Aufrechnung ging ins Leere. Das Krankenhaus hat zu Recht die Fallpauschale DRG B70l (Apoplexie, ein Belegungstag) mit 1086,89 Euro abgerechnet.


    Der Versicherte K wurde im erstangegangenen Krankenhaus als Notfall kurzzeitig stationär aufgenommen. Die Aufnahme erfolgte konkludent. Die stationäre Behandlung war auch erforderlich. Der Senat hat entschieden (Urteil vom 18.5.2021 - B 1 KR 11/20 R - Schockraum-Urteil), dass ein Krankenhaus nicht bereits deshalb zwingend stationär behandelt, weil es den Patienten parallel zur Aufnahmeuntersuchung notfallmäßig versorgen muss. Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - von Beginn an kein ernsthafter Zweifel daran bestehen kann, dass der Notfallpatient überhaupt einer stationären Behandlung bedarf. Die Aufnahmeuntersuchung dient der Klärung, ob eine Aufnahme des Versicherten in das Krankenhaus erforderlich ist. Die hierzu vorgenommenen Untersuchungen begründen nicht zwingend bereits selbst die Aufnahme in das Krankenhaus. Ergibt sich nach der Aufnahmeuntersuchung, dass eine Verweisung des Versicherten an ein anderes Krankenhaus oder die ambulante Weiterbehandlung medizinisch erforderlich und ausreichend ist, liegt keine stationäre Behandlung vor. Dies gilt auch in den Fällen, in denen ein Versicherter als Notfall mit einem Rettungswagen durch einen Notarzt in ein Krankenhaus eingeliefert wird. Hieran hält der Senat fest. Abweichend vom Schockraum-Urteil lässt der Senat nunmehr für eine konkludente stationäre Aufnahme regelhaft und nicht nur in ganz besonderen Ausnahmefällen eine kurzzeitige Notfallbehandlung im erstangegangenen Krankenhaus bei zeitnaher Verlegung in ein anderes Krankenhaus ausreichen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Einsatz der besonderen Mittel im erstangegangenen Krankenhaus eine hohe Intensität aufweist. Eine stationäre Notfallbehandlung im erstangegangenen Krankenhaus liegt schon dann vor, wenn die diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen den intensiven Einsatz von sächlichen und personellen Ressourcen erfordern, wie sie regelmäßig bei der Behandlung in einem Schockraum oder auf einer Schlaganfallstation (stroke unit) zum Einsatz kommen. Die hohe Intensität kann sich schon aus dem Einsatz verschiedener und in ihrem engen zeitlichen und örtlichen Verbund nur stationär verfügbarer diagnostischer Maßnahmen ergeben, die ambulant nicht in gleicher Weise regelhaft verfügbar sind. Die Abrechnung einer Fallpauschale setzt aber im einzelnen Behandlungsfall die Feststellung des Einsatzes solch personeller und sächlicher Ressourcen voraus. Unerheblich ist dabei, dass die Diagnostik auch der Feststellung dient, dass das Krankenhaus in der Lage ist, selbst die kurative Behandlung einzuleiten oder fortzusetzen. Nach diesen Maßstäben erfolgte mit der sofortigen Verbringung des Versicherten K auf die zertifizierte Schlaganfallstation des Krankenhauses und der Einleitung einer schnell aufeinander folgenden umfangreichen Untersuchung eine konkludente Aufnahme in die stationäre Behandlung.

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