Wettbewerbsrecht C-42/21 P - Missbrauch einer beherrschenden Stellung: EuGH verhängt 20 Mio Euro Geldbuße gegen gegen das staatliche litauische Eisenbahnunternehmen

  • Die von der Kommission durchgeführte Prüfung ist vollständig und ermöglicht einen rechtlich hinreichenden Nachweis, dass die Entfernung der Eisenbahninfrastruktur wettbewerbswidrige Wirkungen entfalten konnte.

    Die Lietuvos geležinkeliai AB (im Folgenden: LG), das staatliche litauische Eisenbahnunternehmen, betreibt in Litauen die Eisenbahninfrastruktur und erbringt dort zugleich Schienenverkehrsleistungen. Im Jahr 1999 schloss LG eine Geschäftsvereinbarung mit der Gesellschaft Orlen Lietuva AB (im Folgenden: Orlen), einer vom polnischen Ölunternehmen PKN Orlen SA gehaltenen litauischen Ölgesellschaft, über die Erbringung von Schienenverkehrsleistungen im litauischen Staatsgebiet. Diese Vereinbarung umfasste u. a. die Beförderung von Mineralölerzeugnissen aus einer Orlen gehörenden großen Raffinerie in Bugeniai im Nordwesten Litauens, nahe der Grenze zu Lettland, zum litauischen Seehafenterminal Klaipėda. Im Anschluss an im Jahr 2008 aufgetretene Differenzen zwischen LG und Orlen erwog Letztere, ihre Seeexporttätigkeit vom Abgangsort Klaipėda auf die Seehafenterminals Riga und Ventspils in Lettland zu verlagern und in diesem Zusammenhang die Latvijas dzelzceļš, die staatliche lettische Eisenbahngesellschaft (im Folgenden: LDZ), mit der Beförderung ihrer Erzeugnisse aus der Raffinerie Bugeniai zu beauftragen.

    Aufgrund einer Verformung der Bahntrasse, die auf einer Länge im zweistelligen Meterbereich auf der kurzen Strecke nach Lettland aufgetreten war, setzte LG den Verkehr auf einem 19 km langen Teilabschnitt zwischen Mažeikiai (Litauen) und der Grenze zu Lettland aus. Am 3. Oktober 2008 begann sie mit dem vollständigen Abbau des streitigen Gleisabschnitts, der noch im selben Monat abgeschlossen wurde. Infolgedessen musste Orlen, die davon ausging, dass LG keine kurzfristige Reparatur des streitigen Gleisabschnitts beabsichtigte, von ihrem Vorhaben, die Dienste von LDZ in Anspruch zu nehmen, Abstand nehmen.

    Mit Beschluss vom 2. Oktober 2017 verhängte die Kommission gegen LG eine Geldbuße von rund 28 Millionen Euro wegen Missbrauchs einer beherrschenden Stellung auf dem litauischen Schienengüterverkehrsmarkt. LG erhob in der Folge beim Gericht der Europäischen Union Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses und auf Herabsetzung der Geldbuße. Mit Urteil vom 18. November 2020 hat das Gericht die von LG erhobene Klage abgewiesen und den Betrag der Geldbuße auf 20 068 650 Euro herabgesetzt. LG hat beim Gerichtshof ein Rechtsmittel eingelegt, mit dem sie die Aufhebung des Urteils des Gerichts begehrt.

    In seinem heutigen Urteil bestätigt der Gerichtshof das Urteil des Gerichts.

    Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass der Begriff „missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung im Sinne des Unionsrechts auf Verhaltensweisen eines Unternehmens in beherrschender Stellung abstellt, die die Aufrechterhaltung oder die Entwicklung des Wettbewerbs behindern. Weiterhin verweist der Gerichtshof auf Direktion Kommunikation seine Rechtsprechung, wonach die Verweigerung eines Zugangs zu einer von einem beherrschenden Unternehmen für seine eigenen Tätigkeiten entwickelten Infrastruktur, die im Besitz dieses Unternehmens steht, einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung darstellen kann. Der Gerichtshof hebt allerdings hervor, dass die Beseitigung des Gleisabschnitts, der nicht nur für die Wettbewerber, sondern auch für das beherrschende Unternehmen selbst zwangsläufig unbrauchbar wird, nicht als Verweigerung des Zugangs eingeordnet werden kann. Diese Beseitigung kann aber eine eigenständige Form des Missbrauchs darstellen.

    Ihren Antrag auf Aufhebung des ursprünglichen Urteils stützte LG u. a. darauf, das Gericht habe rechtsfehlerhaft bestätigt, dass seitens der Kommission die Beseitigung des Gleisabschnitts als „Missbrauch einer beherrschenden Stellung“ im Sinne des Unionsrechts eingestuft worden sei. Der Gerichtshof weist diesen Rechtsmittelgrund als nicht stichhaltig zurück, da er auf einem offensichtlich falschen Verständnis des angefochtenen Urteils basiert.

    Den Rechtsmittelgrund, mit dem die Beurteilungen der Kommission angegriffen werden, wonach die Beseitigung des Gleisabschnitts wettbewerbswidrige Wirkungen entfaltet habe, weist der Gerichtshof insgesamt zurück.

    Zur Berechnung der gegen LG verhängten Geldbuße stellt der Gerichtshof fest, dass das Gericht von seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung Gebrauch gemacht hat, indem es den Betrag der Geldbuße neu bewertet und den von der Kommission verhängten Betrag herabgesetzt hat.


    EuGH-Urteil vom 12. Jan 2023 - C-42/21 P | Lietuvos geležinkeliai/Kommission - EuGH PM 09/2023

ZAP-Hosting Gameserver für Minecraft