Sozialrecht B 8 SO 13/20 R - Behinderungsbedingte Mehrkosten einer Urlaubsreise als soziale Teilhabeleistung ist vom Sozialhilfeträger zu erstatten

  • Behinderte Menschen können Eingliederungshilfeleistungen für solche Kosten erhalten, die entstehen, weil sie bei einer Urlaubsreise auf eine Begleitperson angewiesen sind. Dies hat der 8. Senat des Bundessozialgerichts am 19. Mai 2022 entschieden (B 8 SO 13/20 R).

    J.M. ./. Landkreis Leipzig


    Der auf einen Rollstuhl angewiesene, behinderte Kläger, der in einer eigenen Wohnung lebt, beschäftigt zu seiner Pflege rund um die Uhr drei Assistenten im Arbeitgebermodell; die Kosten trägt der Beklagte als Leistung der Eingliederungshilfe. Der Kläger unternahm im Juli 2016 eine 7‑-tägige Nordseereise auf einem Kreuzfahrtschiff mit zwei Landausflügen. Die eigenen Reisekosten trug er selbst. Die Übernahme der Reisekosten für einen Assistenten als notwendige Begleitperson (2015,50 Euro) als Leistung der Eingliederungshilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft lehnte der Beklagte ab. SG und LSG haben diese Entscheidung bestätigt. Als Leistung zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben könnten zwar auch Kosten für Urlaubsreisen übernommen werden. Voraussetzung sei aber, dass durch den Urlaub die Folgen der Behinderung mindestens gemildert würden und der Urlaub dazu beitrage, den behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern und hierbei insbesondere die Begegnung mit nicht behinderten Menschen zu fördern. Die Reise, die der Kläger unternommen habe, habe aber nicht diesen Teilhabezielen gedient, sondern, wie bei nichtbehinderten Menschen auch, vorrangig dem Zweck der Erholung und des Erlebnisses.


    Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers.


    Aus dem Urteil:


    Der 8. Senat hat das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben und die Sache an dieses Gericht zurückverwiesen, weil Feststellungen zur abschließenden Entscheidung fehlten. Der Senat wies jedoch darauf hin, dass Urlaubsreisen als Form der Freizeitgestaltung ein legitimes soziales Teilhabebedürfnis darstellen. Einen Anspruch gegen den Sozialhilfeträger löst jedoch nicht schon das bei dem behinderten Menschen selbst bestehende Urlaubsbedürfnis aus, weil dieses bei nicht behinderten wie behinderten Menschen in gleicher Weise entsteht. Kosten für den eigenen Urlaub sind deshalb grundsätzlich nicht als Leistung der Eingliederungshilfe zu übernehmen. Anders kann es bei behinderungsbedingten Mehrkosten wie den Reisekosten einer notwendigen Begleitperson liegen. Denn mit diesen Kosten ist der behinderte Mensch allein aufgrund seiner Behinderung konfrontiert. Sie sind als Teilhabeleistung zu übernehmen, wenn sie vor dem Hintergrund der angemessenen Wünsche des behinderten Menschen notwendig sind. Der Wunsch eines behinderten Menschen, sich jährlich einmal auf eine einwöchige Urlaubsreise zu begeben, ist im Grundsatz als angemessen anzusehen. Dem Senat fehlten jedoch insbesondere Feststellungen dazu, ob dem Kläger die Buchung einer anderen, im Wesentlichen gleichartigen Reise möglich gewesen wäre, die geringere oder keine behinderungsbedingten Mehrkosten ausgelöst hätte.


    Bundessozialgericht-Urteil vom 19. Mai 2022; B 8 SO 13/20 R; BSG PM 20/2022


    Vorinstanzen:

    Sozialgericht Leipzig S 10 SO 115/16 - 05.12.2017

    Sächsisches Landessozialgericht L 8 SO 6/18 - 29.08.2019

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