B 1 KR 20/07 R - Berechnung der Belastungsgrenze - Krankenversicherung

  • ... tatsächliche Bruttoeinnahmen sind entscheidend, kein fiktiver Regelsatz

    Krankenversicherung - Belastungsgrenze - tatsächliche Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt - Nichtberücksichtigung - Kindergeld - Verfassungsmäßigkeit der differenzierenden Gesamtregelung des § 62 SGB 5


    Die Beteiligten streiten über die Höhe zu zahlender Zuzahlungen für das Jahr 2004.


    Der 1957 geborene Kläger ist bei der beklagten AOK krankenversichert. Er bewohnt mit seiner Familie (Ehefrau und zwei 2000 und 2002 geborene Kinder) eine Eigentumswohnung. Zudem besitzt er ein altes Haus. Während er es früher vermietet hatte, steht es nun seit längerem leer. Bisher ist es ihm nicht gelungen, das Haus zu verkaufen. Er bezieht Rente wegen Berufsunfähigkeit, deren Höhe sich seit dem 1.7.2003 auf monatlich 655,52 Euro brutto belief. Abgesehen von Zinseinnahmen (0,20 Euro im Jahr 2003) erzielte die Familie keine Einkünfte. Der Kläger beantragte Ende März 2004, ihn von Zuzahlungen oberhalb der Belastungsgrenze zu befreien, und legte Quittungen über geleistete Zuzahlungen für 2004 in Höhe von 40 Euro vor. Die Beklagte ging von jährlichen Bruttoeinnahmen in Höhe von 7.866,44 Euro und Familienfreibeträgen in Höhe von 4.347 Euro für die Ehefrau sowie in Höhe von 7.296 Euro für die Kinder aus. Maßgeblich seien jedoch fiktive jährliche Mindestbruttoeinnahmen in Höhe von 3.444 Euro, dem zwölffachen Eckregelsatz für den Haushaltsvorstand nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in Bayern (287 Euro). Dies ergebe eine Belastungsgrenze für Zuzahlungen für den chronisch kranken Kläger von 34,44 Euro. Sie stellte ihn und seine Familie für den Rest des Jahres 2004 von Zuzahlungen frei und berechnete einen zu erstattenden Betrag von 5,56 Euro (Bescheid vom 12.7.2004; Widerspruchsbescheid vom 22.12.2004).


    Der Kläger hat sich mit seiner Klage beim Sozialgericht (SG) darauf berufen, § 62 SGB V sehe keinen Ansatz fiktiver jährlicher Mindestbruttoeinnahmen vor. § 62 Abs 2 Satz 5 SGB V dürfe nicht zu seinen Lasten analog auf ihn angewendet werden. Das SG ist dem gefolgt, hat die Verwaltungsentscheidung abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für das Jahr 2004 weitere 34,44 Euro zu erstatten (Urteil vom 26.8.2005). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Die bewusst abschließende Regelung des § 62 SGB V lasse es nicht zu, jährliche Mindestbruttoeinnahmen des Klägers zu fingieren (Urteil vom 26.4.2007).


    Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 62 SGB V: Nach Wortlaut des entsprechend anzuwendenden § 62 Abs 2 Satz 5 SGB V, System, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Norm seien für den Kläger die von ihr angerechneten fiktiven Einnahmen in Höhe des Eckregelsatzes der Sozialhilfe für die Belastungsgrenze zugrunde zu legen. Es sei nicht einzusehen, dass andernfalls zwar Sozialhilfeempfänger nach § 62 Abs 2 Satz 5 SGB V, nicht aber der Kläger Zuzahlungen zu leisten hätte.


    Die Beklagte beantragt,


    die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. April 2007 und des Sozialgerichts Bayreuth vom 26. August 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.


    Der Kläger beantragt,


    die Revision zurückzuweisen.


    Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.


    Aus den Gründen:


    Die zulässige Revision der beklagten AOK ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger für das Jahr 2004 weitere 34,44 Euro zu erstatten. Denn bei der Berechnung der Belastungsgrenze ist es nicht zulässig, zu Lasten des Klägers einen fiktiven Regelsatz nach dem BSHG zu berücksichtigen. Vielmehr sind lediglich die tatsächlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt entscheidend, hier also nach Anrechnung der Abzüge null Euro.


    1. Der Rechtsanspruch des Klägers auf Erstattung desjenigen Betrages, den er für über der Belastungsgrenze liegende Zuzahlungen aufgewandt hat, ergibt sich aus § 62 SGB V in seiner hier ab 1.1.2004 gültig gewesenen Neufassung durch Art 1 Nr 40 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG - vom 14.11.2003, BGBl I 2190, geändert mit Wirkung vom 6.8.2004 durch Art 4 Nr 1 des Kommunalen Optionsgesetzes vom 30.7.2004, BGBl I 2014) iVm dem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch. Danach haben Versicherte während jedes Kalenderjahres nur Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze zu leisten.


    Wird die Belastungsgrenze bereits innerhalb eines Kalenderjahres erreicht, hat die Krankenkasse eine Bescheinigung darüber zu erteilen, dass für den Rest des Kalenderjahres keine Zuzahlungen mehr zu leisten sind. Die Belastungsgrenze beträgt 1 vH der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt für chronisch Kranke, die - wie der Kläger - wegen derselben schwerwiegenden Krankheit in Dauerbehandlung sind (vgl § 62 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB V). Das Gesetz geht davon aus, dass der Versicherte eine Zuzahlung über die Belastungsgrenze hinaus durch eine zeitgerecht erteilte Bescheinigung vermeiden und er diese Bescheinigung gegebenenfalls im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gerichtlich erwirken kann. Hat er Zuzahlungen bereits über die maßgebliche Belastungsgrenze hinaus geleistet, weil die Krankenkasse die Grenze nicht rechtzeitig oder in einer zu großen Höhe bescheinigt hat, sind Zuzahlungen über die Belastungsgrenze hinaus zu erstatten. Bei Berechnung der Belastungsgrenze für Zuzahlungen sind die Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt des laufenden Kalenderjahres zugrunde zu legen (vgl BSG SozR 4-2500 § 62 Nr 1, Leitsatz und RdNr 10). Der hierauf gerichtete Anspruch ist im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage durchzusetzen (vgl BSG SozR 3-2500 § 61 Nr 7 S 32; BSG SozR 4-2500 § 62 Nr 2 RdNr 8).


    2. So liegt es hier. Die Beklagte hat die Belastungsgrenze des Klägers nicht zutreffend mit null Euro, sondern um 34,44 Euro zu hoch festgesetzt. Sie ist zwar zunächst vom zutreffenden Rechtsbegriff der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt ausgegangen (dazu a), hat dann jedoch zu Unrecht fiktive Mindestbruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt in Höhe des in Bayern geltenden Regelsatzes nach dem BSHG von monatlich 287 Euro anstelle der tatsächlichen Bruttoeinnahmen zugrunde gelegt (dazu b).


    a) Nach Entstehungsgeschichte, Systematik und Zweck des § 62 SGB V sind "Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt" die persönlichen Einnahmen, die dem tatsächlichen Lebensunterhalt dienen. Abzustellen ist auf das Kalenderjahr, für das die Belastungsgrenze zu berechnen ist (vgl dazu grundlegend BSG, Urteil vom 19.9.2007 - B 1 KR 1/07 R - RdNr 11, zur Veröffentlichung vorgesehen).


    Die Freistellung von Zuzahlungen über die Belastungsgrenze hinaus ist Ausdruck des Solidarprinzips. Sie soll sicherstellen, dass einkommensschwache Versicherte notwendige Leistungen in vollem Umfang erhalten und hierfür Zuzahlungen nur bis zu einer vom Gesetzgeber als zumutbar erachteten Höhe leisten müssen. Diese Zumutbarkeitsgrenze wird im Hinblick auf die Höhe des Familieneinkommens unter Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtungen gegenüber den im gemeinsamen Haushalt lebenden Kindern festgelegt. Sie berücksichtigt bei typisierender Betrachtung, dass die Personengruppe der Versicherten mit Unterhaltspflichten gegenüber Kindern bei gleichem Einkommen wirtschaftlich schwächer ist als die Personengruppe der Versicherten, die keine unterhaltsberechtigten Kinder haben. Zuzahlungen sollen nicht dazu führen, dass das aus dem Familieneinkommen zu bestreitende, den unterhaltsberechtigten Kindern von Verfassungs wegen zustehende und ua durch steuerliche Freibeträge geschützte finanzielle Existenzminimum (vgl dazu BverfGE 82, 60, 85 = SozR 3-5870 § 10 Nr 1 S 9; BverfGE 99, 246, 259 ff) gefährdet wird. Dies könnte jedoch der Fall sein, wenn die Familie uneingeschränkt Zuzahlungen für medizinisch notwendige Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu leisten hätte, sodass ihr die Mittel für die Versorgung und Erziehung der Kinder nicht mehr zur Verfügung stünden. Um dies zu vermeiden, ist die für die Zuzahlungsbefreiung maßgebliche Belastungsgrenze zu ermitteln, indem vom Familieneinkommen die zur Existenzsicherung der Kinder erforderlichen finanziellen Mittel durch entsprechende Freibeträge abgezogen werden. Damit trägt § 62 Abs 2 Satz 3 SGB V dem in § 1 Abs 1 SGB I formulierten Ziel Rechnung, wonach auch das Sozialrecht dazu beitragen soll, "die Familie zu schützen und zu fördern" ( BSG SozR 4-2500 § 62 Nr 2 RdNr 12, mwN; vgl auch BSGE 92, 46 RdNr 34 f = SozR 4-2500 § 61 Nr 1 RdNr 35 f).


    Die Beklagte ist insoweit im Ansatz noch zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger, der hier im Wesentlichen das Familieneinkommen erzielt, im Jahr 2004 unter Berücksichtigung der Familienabschläge gemäß § 62 Abs 2 Satz 1 bis 3 SGB V im Rechtssinne keine Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt hatte. Seine reinen zu berücksichtigenden Einnahmen beliefen sich auf 7.866,24 Euro (12 x 655,52 Euro). Zu Recht hat die Beklagte hierbei das Kindergeld nicht berücksichtigt. Zu den Einnahmen, die der typischen Funktion des Arbeitsentgelts beim Pflichtversicherten entsprechen, gehören nämlich nicht zweckgebundene Zuwendungen zB zur Abdeckung eines Mehrbedarfs wie Pflegegeld, Blindenzulage oder Kindergeld (vgl BSG, Urteil vom 19.9.2007 - B 1 KR 1/07 R - RdNr 13 mwN; vgl näher BSG, Urteil vom 22.4.2008 - B 1 KR 5/07 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen).


    Den Betrag von 7.866,24 Euro hat die Beklagte nur dann rechtmäßig um 0,20 Euro erhöht, wenn für das Jahr 2004 Zinseinnahmen in dieser Höhe angefallen sind. Dazu fehlt es an Feststellungen der Vorinstanzen. Es bedarf aber hierzu keiner weiteren Ermittlungen, weil selbst bei Einbeziehung dieser Zinseinnahmen kein berücksichtigungsfähiges Einkommen vorhanden war. Denn diese gesamten Bruttoeinnahmen sind um 11.643 Euro zu vermindern, nämlich um die Familienfreibeträge für die Ehefrau in Höhe von 4.347 Euro sowie für die Kinder in Höhe von 7.296 Euro (vgl § 62 Abs 2 Satz 2 und 3 SGB V und hierzu BSG SozR 4-2500 § 62 Nr 2 RdNr 10 ff).


    b) § 62 SGB V lässt es jedoch entgegen der Ansicht der Beklagten nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats nicht zu, fiktive Bruttoeinnahmen zugrunde zu legen (vgl BSG, Urteil vom 19.9.2007 - B 1 KR 1/07 R - RdNr 18, zur Veröffentlichung vorgesehen) . Vielmehr zielt die Vorschrift nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Systematik darauf ab, nur die tatsächlichen jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt als maßgeblich anzusehen.


    Die in § 62 Abs 2 Satz 4 ff SGB V geregelten Konkretisierungen des Begriffs "Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt" sind hier nicht einschlägig. Nach § 62 Abs 2 Satz 4 SGB V gehören zu den Einnahmen zum Lebensunterhalt nicht Grundrenten, die Beschädigte nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) oder nach anderen Gesetzen in entsprechender Anwendung des BVG erhalten, sowie Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schäden an Körper und Gesundheit gezahlt werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem BVG. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist gemäß § 62 Abs 2 Satz 5 SGB V bei Versicherten,


    die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG oder im Rahmen der Kriegsopferfürsorge nach dem BVG oder nach anderen Gesetzen in entsprechender Anwendung des BVG oder Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung erhalten,


    bei denen die Kosten der Unterbringung in einem Heim oder einer ähnlichen Einrichtung von einem Träger der Sozialhilfe oder der Kriegsopferfürsorge getragen werden,


    sowie für den in § 264 SGB V genannten Personenkreis als Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt für die gesamte Bedarfsgemeinschaft nur der Regelsatz des Haushaltsvorstands nach der Verordnung zur Durchführung des § 22 BSHG (Regelsatzverordnung) maßgeblich. Die vom 6.8. bis 31.12. 2004 geltende Gesetzesfassung enthält den Zusatz: "Bei Versicherten, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erhalten, ist abweichend von den Sätzen 1 bis 3 als Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt für die gesamte Bedarfsgemeinschaft nur die Regelleistung nach § 20 Abs 2 SGB II maßgeblich" (§ 62 Abs 2 Satz 6 SGB V). Der Kläger gehört indessen nicht zur Personengruppe der Versicherten iS von § 62 Abs 2 Satz 5 und 6 SGB V, insbesondere nicht zu den Beziehern von Sozialhilfe oder von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende (zur Ermittlung der Belastungsgrenze und Verfassungsmäßigkeit der Zuzahlungen bei dieser Gruppe vgl BSG, Urteil vom 22.4.2008 - B 1 KR 10/07 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen) . Der Kläger erhält keine der dort angesprochenen Leistungen, ebenso wenig Leistungen iS von § 62 Abs 2 Satz 4 SGB V. Er bestreitet seinen Lebensunterhalt selbst aus seiner Rente. Für diesen Personenkreis regelt § 62 Abs 2 Satz 1 bis 3 SGB V abschließend, welche Einnahmen für die Berechnung der Belastungsgrenze zu berücksichtigen sind.


    Außerhalb der Konkretisierungen durch § 62 Abs 2 Sätze 4 bis 6 SGB V ist zur Konkretisierung des Begriffs "Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt" auf die Rechtsprechung zu § 180 Abs 4 RVO zurückzugreifen. Das entspricht nicht nur - wie dargelegt - der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl BSG, Urteil vom 19.9.2007 - B 1 KR 1/07 R - RdNr 13 ff), sondern auch den Gesetzesmaterialien, nach denen es bei der bisherigen Orientierung der Überforderungsklausel am Familieneinkommen bleibt (vgl Gesetzentwurf eines GMG der Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucks 15/1525, S 95 zu Nr 40 - § 62 SGB V -, linke Spalte).


    Die differenzierende Gesamtregelung des § 62 SGB V verdeutlicht schließlich, dass es sich um eine abschließende Sonderregelung handelt, die der Gesetzgeber bewusst - teilweise anknüpfend an frühere Regelungen und Rechtsprechung - ohne die Schaffung fiktiver Einnahmen getroffen hat. Soweit das Gesetz fiktive Untergrenzen bezeichnen will, nimmt es dies eindeutig und ausdrücklich vor, wie etwa in § 240 Abs 4 Satz 2 SGB V. Zutreffend betont zwar die Beklagte, dass die Regelung des § 62 SGB V durch das GMG auch Sozialhilfeempfänger in die Verpflichtung einbezogen hat, Zuzahlungen zu leisten. Fiktive Mindestbruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt hat die Regelung dagegen nicht eingeführt.


    Im praktischen Ergebnis führt die Gesetzesfassung allerdings dazu, dass einerseits auch Personen, die im Bemessungszeitraum über ein sehr großes Vermögen verfügen, das keinen Ertrag abwirft, und von dessen Verzehr sie leben, keinen Zuzahlungen ausgesetzt sind, während selbst Bezieher von Leistungen nach dem BSHG - oder jetzt SGB XII - oder von entsprechenden, im Gesetz benannten Leistungen Zuzahlungen entrichten müssen. Andererseits kann die Regelung der Belastungsgrenze im Einzelfall zur Folge haben, dass zwar Sozialhilfeempfänger und die übrigen gesetzlich bestimmten Personen etwa nach § 62 Abs 2 Satz 5 SGB V in eingeschränktem Umfang bis zur dort vorgesehenen Belastungsgrenze Zuzahlungen zu leisten haben, nicht aber Personen mit tatsächlich geringeren "Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt" wie der Kläger. Eine Ungleichbehandlung kann auch daraus erwachsen, dass Familienabzüge zwar bei den nach § 62 Abs 2 Sätze 1 bis 3 SGB V zu berechnenden Bruttoeinnahmen zu berücksichtigen sind, nicht aber nach § 62 Abs 2 Satz 5 SGB V.


    Der Senat kann sich dennoch nicht davon überzeugen, dass die Regelung gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) verstößt. Art 3 Abs 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt aber das Grundrecht, wenn er eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist er allerdings grundsätzlich berechtigt, typisierende und pauschalierende Regelungen zu treffen, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (vgl BVerfGE 87, 234, 255; 100, 59, 90; 103, 392, 397 = SozR 3-2500 § 240 Nr 39, stRspr). Der Gesetzgeber darf danach bei der Ordnung von Massenerscheinungen - wie sie besonders im Bereich der Sozialversicherung auftreten - typisierende Regelungen treffen (vgl BVerfGE 75, 108, 162), wenn die damit verbundenen Härten nicht besonders schwer wiegen und nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären (vgl BVerfGE 111, 115, 137; BVerfG SozR 4-2600 § 96a Nr 10 RdNr 15 mwN). Besondere Härten sind jedenfalls für den Kläger nicht ersichtlich. Anknüpfungspunkt der Typisierung sind zudem - wie auch im Beitrags- und sonstigen Leistungsrecht der GKV typisch - Einnahmen und nicht das Vermögen oder die Möglichkeit, es zu verzehren.


    Es liegt in derartigen Fällen nicht in der Hand der Rechtsprechung, solche - im Tatsächlichen extrem seltene Konstellationen betreffende - Entscheidungen des Gesetzgebers zu korrigieren, indem richterrechtlich eigenständig Mindestbruttoeinnahmen der Versicherten ohne gesetzliche Grundlage fingiert werden (vgl BSG, Urteil vom 19.9.2007 - B 1 KR 1/07 R - RdNr 18).


    3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


    BSG-Urteil vom 22. April 2008 - B 1 KR 20/07 R (PM 19/08)


    SG Bayreuth - S 9 KR 10/05 -

    Bayerisches LSG - L 4 KR 276/05

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