Völkerrecht 35285/16 - EGMR erklärt Beschwerde über die Verurteilung wegen Veröffentlichung des Bildes einer Nazi-Größe mit Hakenkreuz in einem Blog für unzulässig

  • In seiner Entscheidung im Verfahren Nix gegen Deutschland (Beschwerdenummer 35285/16) erklärte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die zugrundeliegende Beschwerde einstimmig für unzulässig. Diese Entscheidung ist rechtskräftig.

    Im vorliegenden Fall geht es um die strafrechtliche Verurteilung des Herrn Nix, die darauf basiert, dass er 2014 auf seinem Blog ein Bild des SS-Führers Heinrich Himmler in SS-Uniform mit Hakenkreuzarmband postete.

    Im Januar 2015 verurteilte das Amtsgericht München Herrn Nix unter anderem wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, weil er das Bild von Himmler veröffentlicht hatte. Das Urteil wurde vom Landgericht München im Berufungsverfahren bestätigt.


    Unter Berufung auf Art. 10 EMRK rügte Herr Nix, dass er verurteilt wurde, und machte insbesondere geltend, dass die innerstaatlichen Gerichte nicht berücksichtigt hätten, dass sein Blogbeitrag als Protest gegen die Diskriminierung von Kindern mit Migrationshintergrund durch Schulen und Arbeitsämter gedacht sei.


    Der Gerichtshof stellte fest, dass Art. 10 EMRK (der Europäischen Menschenrechtskonvention) auf das Internet und somit auf den Blog von Herrn Nix Anwendung findet. Ein Eingriff in seine Rechte würde jedoch nur dann gegen die Konvention verstoßen, wenn die Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 2 EMRK nicht erfüllt wären, mithin der Eingriff gerade nicht "in einer demokratischen Gesellschaft

    notwendig" war. Bei der Prüfung dieser Frage sei die deutsche Geschichte als gewichtiger Faktor zu berücksichtigen.


    Der Gerichtshof befürwortete weitgehend die Vorgehensweise der innerstaatlichen Gerichte und auch ihre Ansicht, dass Herr Nix das Bild von Himmler mit dem Hakenkreuz als "Blickfang" verwendet habe. Die Verwendung solcher Bilder zu verbieten, sei jedoch gerade eines der Ziele der nationalen Gesetzgebung, die die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unter Strafe stellt.


    Der Gerichtshof stellte fest, dass die innerstaatlichen Behörden tragfähige und hinreichende Gründe für den Eingriff in das Recht von Herrn Nix auf freie Meinungsäußerung vorgebracht hatten und im vorliegenden Fall nicht über ihren Handlungsspielraum ("Ermessensspielraum") hinausgegangen waren.


    Aus dem Sachverhalt:


    Der Beschwerdeführer Hans Burkhard Nix ist deutscher Staatsangehöriger, der 1954 geboren wurde und in München lebt.


    Der Beschwerdeführer hat einen Blog, auf dem er über verschiedene Themen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft schreibt. Im März 2014 schickte das Jobcenter einen Brief an seine Tochter, die deutsch-nepalesischen Ursprungs ist. In diesem wurde sie, die 18 Jahre alt war und frühestens im Sommer 2015 ihre Ausbildung beenden sollte, aufgefordert, einen Fragebogen auszufüllen, insbesondere zu der Frage, ob sie beabsichtige, den Schulbesuch nach September 2014 fortzusetzen oder eine Berufsausbildung oder ein Hochschulstudium zu beginnen.


    In Reaktion hierauf veröffentlichte Herr Nix sechs Blogbeiträge über den Schriftverkehr seiner Tochter mit dem Jobcenter. In einem seiner Posts erklärte er, dass der Hintergrund des Briefes, der von einem Mitarbeiter des Jobcenters geschrieben wurde, der sei, dass das Amt seine Tochter auf rassistische und diskriminierende Weise in einen Niedriglohnjob als billige Arbeitskraft treiben wolle.


    Darüber hinaus postete er eine Stellungnahme mit der Überschrift "[Name des Mitarbeiters] offeriert" passgenaue "Eingliederung in das Billiglohnland". Darunter befand sich ein Bild von Himmler in SS-Uniform, auf welchem das Abzeichen der NSDAP mit Hakenkreuz auf der Brusttasche und ein Hakenkreuzarmband sichtbar waren. Herr Nix postete zudem ein Zitat von Himmler über die Schulbildung von Kindern in Osteuropa während der Nazi-Besatzung neben das Bild, zugleich wandte er sich darunter namentlich an den fraglichen Mitarbeiter und erklärte, dass er die Anfragen des Arbeitsamtes weiterhin diskutieren würde.


    Im Januar 2015 verurteilte das Amtsgericht München Herrn Nix unter anderem wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Im Berufungsverfahren bestätigte das Landgericht das Urteil. Es kam zu dem Schluss, dass der Beschwerdeführer sich in seinem Blog nicht eindeutig von der nationalsozialistischen Ideologie distanziert und das Bild als Blickfang genutzt habe. Die Revision wurde verworfen und das Bundesverfassungsgericht nahm im Dezember 2015 seine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.


    Beschwerde, Verfahren und Zusammensetzung des Gerichtshofs


    Unter Berufung auf Art. 10 EMRK (Freiheit der Meinungsäußerung) rügt der Beschwerdeführer, dass er verurteilt wurde.


    Die Beschwerde wurde am 14. Juni 2016 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht.


    Die Entscheidung wurde von einer Kammer mit sieben Richtern gefällt, die sich wie folgt zusammensetzte:


    Erik Møse (Norwegen), Präsident,

    Angelika Nußberger (Deutschland),

    Yonko Grozev (Bulgarien),

    Síofra O’Leary (Irland),

    Mārtiņš Mits (Lettland),

    Lәtif Hüseynov (Aserbaidschan),

    Lado Chanturia (Georgien),


    und Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin.


    Entscheidung des EMRK


    Der Gerichtshof stellte fest, dass jeder Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung den Anforderungen des Art. 10 Abs. 2 EMRK entsprechen müsse, insbesondere müsse er "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein. Er wies erneut darauf hin, dass Art. 10 Abs. 2 EMRK nur einen geringen Spielraum für Einschränkungen der politischen Meinungsäußerung oder der Diskussion von Fragen von öffentlichem Interesse lässt. In diesem Zusammenhang stellte der Gerichtshof fest, dass Deutschlands Entscheidung, die Verwendung von Nazi-Symbolen unter Strafe zu stellen, vor dem Hintergrund seiner Geschichte gesehen werden müsse, wenngleich die innerstaatlichen Rechtsvorschriften Ausnahmen aus verschiedenen Gründen vorsähen, etwa wenn man sich von der betreffenden Ideologie eindeutig distanziere.


    Der Gerichtshof nahm zunächst zur Kenntnis, dass das von Herrn Nix verwendete Kennzeichen - Himmler in SS-Uniform mit einer Hakenkreuz-Armbinde - keine andere Bedeutung als die der Naziideologie zukommt (anders die Fälle Vajnai gegen Ungarn, Beschwerde-Nr. 33629/06, §§ 52 ff., ECHR 2008, und Fratanoló gegen Ungarn, Beschwerde-Nr. 29459/10, § 25, 3 November 2011, betreffend die Verwendung des roten Sterns).


    Weiter stellte der Gerichtshof fest, dass Herr Nix die fraglichen Rechtsvorschriften kennen musste, nicht zuletzt, da er sechs Wochen vor der Veröffentlichung des fraglichen Blogeintrags verurteilt worden war, weil er ein Foto der Bundeskanzlerin Angela Merkel in Nazi-Uniform mit einer Hakenkreuz-Armbinde und einem aufgemalten Hitlerbart veröffentlicht hatte.


    Der Gerichtshof nahm zur Kenntnis, dass Herr Nix nicht beabsichtigt hatte, die Nazi-Ideologie zu verbreiten, und dass er gegebenenfalls zu einer Debatte von öffentlichem Interesse beitragen wollte.


    Daher stellte sich die Frage, ob die nationalen Gerichte den fraglichen Blogbeitrag zusammen mit den anderen Beiträgen des Beschwerdeführers betreffend das Jobcenter bzw. seine Tochter hätten prüfen müssen. Der Beitrag enthielt jedoch keinen Verweis oder sichtbaren Link zu den früheren Blog-Beiträgen, es war für den Leser nicht sofort verständlich, dass der Beitrag Teil einer Reihe von Beiträgen war. Außerdem habe Herr Nix weder den deutsch-nepalesischen Ursprung seiner Tochter noch die Tatsache, dass er selbst Sozialhilfe bezogen habe, erwähnt. Es sei nicht klar geworden, warum die Bitte des Mitarbeiters des Jobcenters mit der Situation im NS-Regime vergleichbar gewesen sei.


    Der Gerichtshof entschied, dass den innerstaatlichen Gerichten daher nicht der Vorwurf gemacht werden könne, dass sie zu der Auffassung gelangten, dass Herr Nix das Bild von Himmler mit Hakenkreuz als „Blickfang“ verwendet habe, was das Gesetz, das die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unter Strafe stelle, gerade verhindern wolle (sog. „kommunikatives Tabu“). In der Rechtsprechung sei geklärt, dass allein eine kritische Haltung bei der Verwendung solcher Kennzeichen nicht ausreiche, um von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit ausgenommen zu werden, dass vielmehr eine klare und offensichtliche Ablehnung der Nazi-Ideologie erforderlich sei.


    Der Gerichtshof sah keinen Grund, von der Einschätzung der innerstaatlichen Gerichte abzuweichen, dass Herr Nix in seinem Blogbeitrag die Nazi-Ideologie nicht klar und offensichtlich abgelehnt hatte. Die innerstaatlichen Gerichte hätten tragfähige und hinreichende Gründe für den Eingriff in sein Recht auf freie Meinungsäußerung vorgebracht und ihren Ermessensspielraum nicht überschritten. Der Eingriff in seine Rechte aus Art. 10 EMRK war daher „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“, weshalb die Beschwerde offensichtlich unbegründet und daher unzulässig war.


    ECHR 131 (2018), Urteil vom 05. Apr 2018 - EGMR 131/2018

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