Europarecht C-147/21 - Geschäftspraktiken und Werbung in Bezug auf mehrere Arten von Biozidprodukte

  • Der in der Union durch die Verordnung über Biozidprodukte erreichte Harmonisierungsgrad hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, im Bereich der Absatzförderung restriktive Vorschriften zu erlassen.

    Solche Verbote stellen keine Behinderung des freien Warenverkehrs dar, wenn sie den Schutz der Gesundheit und der Umwelt zum Ziel haben, wenn sie geeignet sind, diese Ziele zu erreichen, und wenn sie nicht über das hierzu Erforderliche hinausgehen.

    Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und der Umwelt regeln zwei 2019 erlassene französische Dekrete Geschäftspraktiken und Werbung in Bezug auf mehrere Arten von Biozidprodukten. Zum einen sehen sie vor, dass bei Insektiziden und Rodentiziden bestimmte Geschäftspraktiken wie Rabatte und Preisnachlässe verboten sind. Zum anderen schränken sie bei diesen Erzeugnissen sowie bei bestimmten Desinfektionsmitteln die kommerzielle Werbung ein.


    Das Comité interprofessionnel des huiles essentielles françaises (Branchenübergreifender Ausschuss für französische ätherische Öle, CIHEF) und einige Hersteller ätherischer Öle haben beim Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich) eine Klage auf Nichtigerklärung der Dekrete u. a. wegen Verstoßes gegen die Verordnung über Biozidprodukte1 erhoben.


    Der Staatsrat hat deshalb den Gerichtshof dazu befragt, ob diese Verordnung und ganz allgemein der Grundsatz des freien Warenverkehrs (der mengenmäßige Beschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten verbietet) nationalen restriktiven Vorschriften über Geschäftspraktiken und Werbung in Bezug auf Biozidprodukte, die auf dem Markt zugelassen sind, entgegenstehen, wenn diese Vorschriften den Schutz der öffentlichen Gesundheit und der Umwelt bezwecken.


    Das Unionsrecht als solches steht den fraglichen einschränkenden Maßnahmen im Bereich der Geschäftspraktiken nicht entgegen.


    Der Gerichtshof entscheidet, dass weder die Verordnung über Biozidprodukte noch ganz allgemein das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, die bestimmte Geschäftspraktiken wie Rabatte, Preisnachlässe oder Rückvergütungen, eine Differenzierung der allgemeinen und besonderen Verkaufsbedingungen, die Ausgabe kostenloser Proben und alle vergleichbaren Praktiken in Bezug auf Biozidprodukte der Produktarten 14 (Rodentizide) und 18 (Insektizide, Akarizide und Produkte gegen andere Arthropoden) verbietet. Er stellt fest, dass es Sache des vorlegenden Gerichts zu überprüfen, ob diese Verbote durch Ziele des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Menschen sowie der Umwelt gerechtfertigt sind, die Erreichung dieser Ziele zu gewährleisten geeignet sind und nicht über das hierzu Erforderliche hinausgehen.


    Die Verordnung über Biozidprodukte steht einer nationalen Regelung entgegen, die bei der an Fachleute gerichteten Werbung einen zusätzlichen Hinweis vorschreibt.


    Der Gerichtshof entscheidet, dass die Verordnung über Biozidprodukte einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Anbringung eines Hinweises – zusätzlich zu dem in dieser Verordnung vorgesehenen – auf der an Fachleute gerichteten Werbung für Biozidprodukte der Produktarten 2 (Desinfektionsmittel und Algenbekämpfungsmittel, die nicht für eine direkte Anwendung bei Menschen und Tieren bestimmt sind) und 4 (Lebens- und Futtermittelbereich) sowie der Produktarten 14 und 18 vorschreibt.


    Der Gerichtshof führt aus, dass die Verordnung über Biozidprodukte bereits eine Bestimmung enthält, die die Formulierung der Angaben über die mit der Verwendung von Biozidprodukten verbundenen Risiken in der Werbung für diese Erzeugnisse eingehend und umfassend regelt. Die Verordnung schreibt nämlich einen obligatorischen Hinweis vor („Biozidprodukte vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformationen lesen.“), verbietet ausdrücklich bestimmte Angaben wie z. B. „Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial“, „ungiftig“ oder „umweltfreundlich“ und zielt ganz allgemein darauf ab, jede hinsichtlich der Risiken solcher Erzeugnisse irreführende Werbeaussage zu verbieten. Daraus ergibt sich, dass der Bereich der Angaben über die mit der Verwendung von Biozidprodukten verbundenen Risiken, die in der Werbung für diese Erzeugnisse verwendet werden dürfen, vom Unionsgesetzgeber vollständig harmonisiert wurde.


    Die Mitgliedstaaten können unter bestimmten Voraussetzungen an die breite Öffentlichkeit gerichtete Werbung verbieten.


    Der Gerichtshof entscheidet, dass die Verordnung über Biozidprodukte dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die jede an die breite Öffentlichkeit gerichtete Werbung für Biozidprodukte der Produktarten 2 und 4 sowie der Produktarten 14 und 18 verbietet. Der Unionsgesetzgeber hat zwar die Formulierung der Angaben über die mit der Verwendung von Biozidprodukten verbundenen Risiken in der Werbung für diese Erzeugnisse geregelt, er wollte allerdings nicht alle Aspekte der Werbung für Biozidprodukte regeln und insbesondere nicht die Möglichkeit ausschließen, dass die Mitgliedstaaten Werbung verbieten, die an die breite Öffentlichkeit gerichtet ist.


    Der Gerichtshof prüft sodann, ob diese Regelung Verkaufsmodalitäten regelt, die für alle Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren. Insoweit muss eine solche Regelung zwei Voraussetzungen erfüllen, was zu überprüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist:


    1. Sie muss unterschiedslos für sämtliche betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im französischen Hoheitsgebiet ausüben,
    2. sie berührt den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise.

    Schließlich gibt der Gerichtshof für den Fall, dass die Regelung den Zugang zum französischen Markt für Biozidprodukte aus anderen Mitgliedstaaten stärker berührt als für die entsprechenden französischen Erzeugnisse, Hinweise für die Beurteilung der Vereinbarkeit der Regelung mit den den freien Warenverkehr betreffenden Bestimmungen des AEU-Vertrags.


    Insoweit stellt er zum einen fest, dass die fragliche Regelung geeignet ist, die Ziele des Schutzes der menschlichen Gesundheit und der Umwelt zu gewährleisten, da sie die Anreize für den Kauf und die Verwendung solcher Erzeugnisse verringern soll. Zum anderen führt er aus, dass das Verbot jeder an die breite Öffentlichkeit gerichteter Werbung für bestimmte Biozidprodukte nicht über das hinausgeht, was erforderlich ist, um diese Ziele zu erreichen. Denn die Regelung bezieht sich nur auf Werbung, die an die breite Öffentlichkeit gerichtet ist, und verbietet daher nicht Werbung, die sich an Fachleute richtet. Sie hat ferner eine begrenzte Reichweite, da sie nicht alle Biozidprodukte betrifft, sondern nur diejenigen der Produktarten 2 und 4 sowie der Produktarten 14 und 18, also diejenigen mit dem größten Risiko für die menschliche Gesundheit, und sie gilt nicht für Biozidprodukte, die für das vereinfachte Zulassungsverfahren in Betracht kommen.


    EuGH-Urteil vom 19. Jan 2023; EuGH PM 13/2023


    Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-147/21 | CIHEF u. a.


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    1 Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (ABl. 2012, L 167, S. 1).

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