Sozialrecht B 10 EG 2/22 R - Eltern können Elterngeld Plus auch bei längerer Arbeitsunfähigkeit beanspruchen

  • Elterngeld Plus kann auch dann beansprucht werden, wenn ein Elternteil während der Partnerschaftsbonusmonate für längere Zeit erkrankt und keine Lohnfortzahlung mehr erhält. Dies hat der 10. Senat des Bundessozialgerichts mit Urteil vom 7. September 2023 entschieden (Aktenzeichen B 10 EG 2/22 R).

    Anspruch auf zusätzliche vier Monate Elterngeld Plus als Partnerschaftsbonus haben Eltern nur, wenn beide Elternteile ihr Kind betreuen und gleichzeitig zwischen 25 und 30 Wochenstunden erwerbstätig sind. Während einer Arbeitsunfähigkeit besteht die Erwerbstätigkeit nach den Richtlinien des Bundesfamilienministeriums zum Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) nur bis zum Ende der Lohnfortzahlung weiter.


    Der Kläger war kurz nach Beginn der Partnerschaftsbonusmonate erkrankt und über das Ende der Lohnfortzahlung hinaus arbeitsunfähig. Daher hatte die Elterngeldstelle die Leistungsbewilligung aufgehoben und das Elterngeld Plus für die vollen vier Monate vom Kläger zurückgefordert. Die Aufhebung und Rückforderung erfolgten zu Unrecht. Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass Eltern auch dann „erwerbstätig“ sind, wenn sie ihre auf die vorgeschriebene Zahl an Wochenstunden festgelegte Tätigkeit während einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit tatsächlich nicht ausüben können, jedoch das Arbeitsverhältnis fortbesteht und die konkrete Tätigkeit voraussichtlich wieder aufgenommen werden wird. Eine andere Auslegung des BEEG widerspricht dem Ziel des Elterngeld Plus, die partnerschaftliche Betreuung des Kindes bei gleichzeitiger Teilzeittätigkeit beider Eltern wirtschaftlich abzusichern.


    BSG PM 29/2023


    S. M. ./. Stadt Langenhagen


    Die Beteiligten streiten über die Rückforderung von Elterngeld Plus, das dem Kläger als Partnerschaftsbonus vorläufig bewilligt worden war.


    Für den 14. bis 17. Lebensmonat ihres im Januar 2016 geborenen Sohnes beantragten beide Eltern Elterngeld Plus als Partnerschaftsbonus. Für diesen Zeitraum vereinbarte der Kläger mit seinem Arbeitgeber eine Reduzierung der zuvor in Vollzeit ausgeübten Berufstätigkeit auf 30 Wochenstunden. Die Mutter vereinbarte mit ihrem Arbeitgeber eine wöchentliche Arbeitszeit von 25 Stunden. Die Beklagte bewilligte dem Kläger für diese vier Monate vorläufig Elterngeld Plus. Ab Ende Februar 2017, dem Beginn des 14. Lebensmonats seines Sohnes, arbeitete der Kläger - wie vereinbart - nur noch 30 Stunden wöchentlich. Von Anfang März bis Ende Juni 2017 war er arbeitsunfähig. Nach Ablauf der sechswöchigen Entgeltfortzahlung erhielt er bis zum Ende der Arbeitsunfähigkeit Krankengeld. Anschließend nahm er seine Tätigkeit wieder auf.


    Die Beklagte hob die Bewilligung des Elterngeld Plus für den 14. bis 17. Lebensmonat auf und forderte dieses vom Kläger zurück, weil er mit dem Auslaufen der Entgeltfortzahlung und Einsetzen des Krankengelds nicht mehr erwerbstätig gewesen sei.


    Die hiergegen gerichtete Klage hatte erst in der Berufungsinstanz Erfolg. Das Landessozialgericht hat die Bezugsvoraussetzungen des Elterngelds Plus im 14. bis 17. Lebensmonat als erfüllt angesehen. Eine Überzahlung liege - auch unter Anrechnung des Krankengelds - nicht vor. Die krankheitsbedingte Unterbrechung der Berufstätigkeit des Klägers sei unschädlich, weil deren vertraglich vereinbarter Umfang den gesetzlichen Vorgaben entsprochen habe. In Abhängigkeit vom Tätigkeitsstatus führe die Anknüpfung an die Entgeltfortzahlung zu sachwidrigen Ungleichbehandlungen. Zudem widerspreche es dem gesetzgeberischen Ziel der Förderung einer partnerschaftlichen Aufgabenteilung, wenn der Elterngeldanspruch von unbeeinflussbaren Zufallsfaktoren wie dem Eintritt einer Krankheit abhänge.


    Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 4 Absatz 4 BEEG (in der vom 1. Januar 2015 bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung). Der Kläger habe keinen Anspruch auf Elterngeld Plus als Partnerschaftsbonus, weil er infolge seiner Arbeitsunfähigkeit nicht erwerbstätig gewesen sei. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sei Erwerbstätigkeit nicht nur das passive Innehaben einer Arbeitsstelle, sondern die aktive Ausübung der Berufstätigkeit. Löse der Krankengeldanspruch den Entgeltfortzahlungsanspruch ab, könne weder von einer Erwerbstätigkeit noch von ihrer nur vorübergehenden Unterbrechung ausgegangen werden.


    Verfahrensgang:

    Sozialgericht Hannover, S 32 EG 2/19, 18.02.2022

    Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, L 2 EG 5/22, 20.06.2022


    Terminbericht: 34/2023


    Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Der Kläger hat Anspruch auf Elterngeld Plus als Partnerschaftsbonus, obwohl er im Bezugszeitraum mehrere Monate arbeitsunfähig war und nach Auslaufen des Entgeltfortzahlungsanspruchs Krankengeld bezog.


    Anspruch auf vier weitere Monatsbeträge Elterngeld Plus als Partnerschaftsbonus besteht nach § 4 Abs. 4 Satz 3 BEEG (in der Fassung des Gesetzes vom 18. Dezember 2014) für jeden Elternteil, wenn beide Elternteile in vier aufeinander folgenden Lebensmonaten gleichzeitig (1.) nicht weniger als 25 und nicht mehr als 30 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats erwerbstätig sind und (2.) die Voraussetzungen des § 1 BEEG erfüllen. Letzteres ist hier der Fall. Insbesondere lässt die Unterbrechung der persönlichen Betreuung und Erziehung des gemeinsamen Sohnes durch den Kläger wegen einer viertägigen stationären Behandlung den Leistungsanspruch unberührt (§ 1 Abs. 5 BEEG).


    Beide Eltern waren auch im vorgeschriebenen Umfang von 25 bis 30 Wochenstunden erwerbstätig. Speziell der Kläger hatte mit seinem Arbeitgeber für den 14. bis 17. Lebensmonat seines Sohnes eine wöchentliche Arbeitszeit von 30 Stunden vereinbart und mit Ausnahme der Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit tatsächlich geleistet. Trotz der Arbeitsunfähigkeit war er "erwerbstätig" im Sinne von § 4 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 BEEG. An die Richtlinie des Bundesfamilienministeriums zum BEEG, die nach Auslaufen der Entgeltfortzahlung einen Wegfall der Erwerbstätigkeit annimmt, ist der Senat nicht gebunden. Vielmehr ergibt eine Auslegung des § 4 Abs. 4 Satz 3 BEEG, dass Berechtigte auch dann "erwerbstätig" sind, wenn sie ihre auf die vorgeschriebene Zahl an Wochenstunden festgelegte Tätigkeit während einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit tatsächlich nicht ausüben können, jedoch das Arbeitsverhältnis fortbesteht und die konkrete Tätigkeit voraussichtlich wieder aufgenommen werden wird.


    Der Wortlaut der Norm ist für eine solche Auslegung grundsätzlich offen. Der Begriff "erwerbstätig" ist im BEEG nicht definiert. Auch gibt es keinen feststehenden juristischen Sprachgebrauch, der vorliegend herangezogen werden könnte. Im allgemeinen Sprachgebrauch umschreibt "erwerbstätig" (jedenfalls auch) eine längerfristige Eigenschaft, zum Beispiel bei der Unterscheidung zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen. Für einen Fortbestand der Erwerbstätigkeit während vorübergehender Arbeitsunfähigkeit mit Krankengeldbezug spricht in systematischer Hinsicht die im BEEG vorgesehene Anrechnung von Krankengeld auf Elterngeld Plus. Schließlich widerspräche eine Auslegung, nach der die Erwerbstätigkeit und damit der Elterngeldanspruch durch eine vorübergehende krankheitsbedingte Unterbrechung entfiele, dem Ziel des Elterngeld Plus, die Teilzeittätigkeit von Eltern nach der Geburt eines Kindes wirtschaftlich abzusichern. Zugleich minderte ein gegenteiliges Verständnis der Norm die Anreizfunktion des Partnerschaftsbonus deutlich. Dies gilt nach der Lesart der Beklagten insbesondere auch im Hinblick auf Selbstständige, die keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall haben. Bei ihnen ließe schon ein einziger Krankheitstag den Anspruch auf Partnerschaftsbonus entfallen.

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