Sozialrecht B 12 BA 1/23 R, B 12 R 15/21 R, B 12 BA 4/22 R - Kein Ausschluss von Sozialversicherungspflicht durch Vertragsbeziehung mit Ein-Personen-Kapitalgesellschaft

  • Stellt sich die Tätigkeit einer natürlichen Person nach deren tatsächlichem Gesamtbild als abhängige Beschäftigung dar, ist ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht deshalb ausgeschlossen, weil Verträge nur zwischen dem Auftraggeber und einer Kapitalgesellschaft bestehen, deren alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter die natürliche Person ist. Dies hat der 12. Senat des Bundessozialgerichts in drei Revisionsverfahren (Aktenzeichen B 12 BA 1/23 R, B 12 R 15/21 R und B 12 BA 4/22 R) entschieden.

    Die natürlichen Personen waren alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften (Unternehmergesellschaft <UG> und Gesellschaft mit beschränkter Haftung <GmbH>). Mit diesen Kapitalgesellschaften schlossen Dritte Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen. In zwei Verfahren ging es um Pflegedienstleistungen im stationären Bereich eines Krankenhauses, im dritten Fall um eine beratende Tätigkeit. Tatsächlich erbracht wurden die Tätigkeiten ausschließlich von den natürlichen Personen. Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund stellte in allen Fällen Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung fest.


    Das Bundessozialgericht hat in allen drei Verfahren entschieden, dass - wie in anderen Statusverfahren auch - die jeweiligen konkreten tatsächlichen Umstände der Tätigkeit nach einer Gesamtabwägung über das Vorliegen von Beschäftigung entscheiden. Daran ändert der Umstand nichts, dass Verträge nur zwischen den Auftraggebern und den Kapitalgesellschaften geschlossen wurden. Die Abgrenzung richtet sich vielmehr nach dem Geschäftsinhalt, der sich aus den ausdrücklichen Vereinbarungen der Vertragsparteien und der praktischen Durchführung des Vertrages ergibt, nicht aber nach der von den Parteien gewählten Bezeichnung oder gewünschten Rechtsfolge.


    BSG-Urteil vom 20. Jul 2023, BSG PM 23/2023


    Verfahren: B 12 BA 1/23 R,

    Verfahrensgang:
    Sozialgericht Chemnitz, S 36 BA 18/19, 19.11.2019
    Sächsisches Landessozialgericht, L 9 BA 38/19, 15.11.2022


    Verfahren: B 12 R 15/21 R und

    Sozialgericht Darmstadt, S 13 R 645/16, 15.02.2021
    Hessisches Landessozialgericht, L 1 BA 25/21, 18.11.2021


    Verfahren: B 12 BA 4/22 R

    Sozialgericht Lüneburg, S 38 R 63/17, 31.05.2018
    Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, L 1 BA 54/18, 18.03.2022


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    Verfahren: B 12 BA 1/23 R - Terminbericht 29/2023


    Die Revisionen des Klägers und der beigeladenen Unternehmergesellschaft (UG) hatten im Sinn der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landessozialgericht Erfolg. Der Kläger unterlag in seiner Tätigkeit für die beigeladene Krankenhausträgerin in den streitigen Zeiträumen aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in der GRV sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Geschäftsinhalt der Vereinbarungen zwischen der UG und der Krankenhausträgerin war der weisungsgebundene Einsatz geeigneter Personen zur Krankenpflege allein im Interesse der Krankenhausträgerin und unter Eingliederung in die Organisation des Krankenhauses. Ein für eine selbstständige Werk- oder Dienstleistung erforderlicher unternehmerischer Gestaltungsspielraum kam der UG nicht zu. Verpflichtet sich eine Ein-Personen-UG gegenüber einem anderen Unternehmen vertraglich zur Erbringung von Tätigkeiten, die ihrer Art nach eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des anderen Unternehmens und eine Weisungsgebundenheit an dortige Weisungsgeber bedingen, sind ausdrückliche vertragliche Vereinbarungen zwischen dem die Tätigkeit selbst ausführenden Gesellschafter-Geschäftsführer der UG und dem anderen Unternehmen zur Begründung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses nicht erforderlich.


    Vergleichbar dem Rechtsinstitut des fingierten Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG im Fall einer unwirksamen Arbeitnehmerüberlassung bestimmt sich die rechtliche Beurteilung als Beschäftigung vielmehr anhand der Vereinbarungen zwischen der UG und dem anderen Unternehmen sowie der praktischen Durchführung dieses Vertrags.


    Eine erlaubte Arbeitnehmerüberlassung scheidet aus, weil die UG weder über die erforderliche Erlaubnis noch über weitere qualifizierte Arbeitskräfte zur Erfüllung der übernommenen Tätigkeit verfügte. Auf den Eintritt der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG infolge einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung kommt es nicht an, weil eine Beschäftigung nach § 7 SGB IV nicht das Zustandekommen eines Arbeitsvertrags voraussetzt. Nach der im Sozialversicherungsrecht herrschenden Eingliederungstheorie genügt grundsätzlich die tatsächliche Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation.


    Dem Senat war allerdings mangels ausreichender Feststellungen des Landessozialgerichts zu dem vom Kläger erzielten regelmäßigen Jahresarbeitsentgelt eine abschließende Entscheidung über die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung verwehrt.


    Verfahren: B 12 R 15/21 R


    Die zulässige Revision der Beklagten hat zur Aufhebung der Entscheidung des Landessozialgerichts und zur Zurückverweisung der Sache geführt. Der Senat konnte anhand der vom Landessozialgericht getroffenen Feststellungen nicht entscheiden, ob der Kläger in seiner Tätigkeit für die Rechtsvorgängerin der beigeladenen Krankenhausträgerin im streitigen Zeitraum aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in den Zweigen der Sozialversicherung unterlag. Es fehlen insbesondere Feststellungen zur praktischen Durchführung der zwischen der früheren Krankenhausträgerin und der beigeladenen GmbH getroffenen Vereinbarungen. Der diesen Vereinbarungen zugrunde liegende Geschäftsinhalt (vergleiche hierzu Verfahren 3) ist maßgebend für die Beurteilung, ob die von der beigeladenen GmbH vertraglich geschuldete Tätigkeit eine Eingliederung des Klägers in die Organisation des Krankenhauses erforderte und in dessen Interesse weisungsgebunden zu erbringen war. Wenn das der Fall gewesen sein sollte, ist zudem festzustellen, ob die beigeladene GmbH über eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung und über (weitere) qualifizierte Arbeitskräfte zur Erfüllung der übernommenen Tätigkeit verfügte.


    Schließlich fehlen für den Fall einer Beschäftigung Feststellungen zu den genauen Einsatzzeiten des Klägers und den tatsächlich erzielten Einnahmen (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V).


    Verfahren: B 12 BA 4/22 R


    Der Senat hat die Revision der klagenden GmbH zurückgewiesen. Der Beigeladene unterlag im streitigen Zeitraum aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses mit der Rechtsvorgängerin der Klägerin der Versicherungspflicht in der GRV sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Bei einer Vereinbarung zwischen einem Dritten und einem Unternehmen richtet sich die Einordnung der Tätigkeit als selbstständige Dienstleistung oder Beschäftigung nach dem Geschäftsinhalt, wie er sich nach der tatsächlichen Durchführung des Vertrags darstellt (vergleiche hierzu Verfahren 3). Geschäftsinhalt der Vereinbarungen zwischen der UG und der Rechtsvorgängerin der klagenden GmbH war eine weisungsgebundene unternehmensberatende und -fördernde Tätigkeit unter Eingliederung des Beigeladenen in deren Organisation. Eine erlaubte Arbeitnehmerüberlassung scheidet aus, weil die UG weder über die erforderliche Erlaubnis noch über weitere qualifizierte Arbeitskräfte zur Erfüllung der übernommenen Tätigkeit verfügte.

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