Sozialrecht B 2 U 19/20 R - Ehrenamtliche Chorsänger bei Adventssingen unfallversichert

  • Ein ehrenamtliches Mitglied eines Frauenchores ist bei einem öffentlichen Adventssingen in kirchlichen Räumlichkeiten unfallversichert, gerade wenn die Freude am Gesang und der Gemeinschaft im Vordergrund steht. Dies hat der 2. Senat des Bundessozialgerichts entschieden (Az. B 2 U 19/20 R).

    Die Klägerin war Mitglied eines Frauenchores, der am 3. Dezember 2016 in den Räumlichkeiten einer evangelischen Kirchengemeinde ein öffentliches Adventssingen darbieten wollte. Die Absprache für den Auftritt erfolgte zwischen der Vorsitzenden des Frauenchores und dem Pfarrer der Kirchengemeinde. Die Raumnutzung erfolgte im Einverständnis mit der Kirchengemeinde, die die Veranstaltung im lokalen Amtsblatt unter der Rubrik „Kirchliche Nachrichten“ ankündigte. Zuwendungen oder Aufwandsentschädigungen für die Chormitglieder wegen des Auftritts waren nicht vorgesehen. Auf dem Weg zu diesem Auftritt verunglückte die Klägerin mit ihrem PKW bei Glatteis und verletzte sich schwer.


    Die für Vereine und Religionsgemeinschaften zuständige Verwaltungs-Berufsgenossenschaft verneinte Versicherungsschutz. Auch die für ehrenamtlich Tätige und bürgerschaftlich Engagierte zuständige und beklagte Unfallkasse lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls mangels Versicherungsschutzes ab. Das Bundessozialgericht hat der Klage auf Feststellung eines Arbeitsunfalls gegen die beigeladene Verwaltungs-Berufsgenossenschaft stattgegeben. Seit dem Gesetz zur Verbesserung des unfallversicherungsrechtlichen Schutzes bürgerschaftlich Engagierter und weiterer Personen vom 9. Dezember 2004 ist der Versicherungsschutz nicht mehr von einem unmittelbar ehrenamtlichen Tätigwerden für eine Religionsgemeinschaft abhängig. Ausreichend ist seither ein nur mittelbar ehrenamtliches Tätigwerden über eine privatrechtliche Organisation (§ 2 Abs. 1 Nr. 10 Buchst b SGB VII). Diese Voraussetzungen erfüllte die Klägerin. Das Adventssingen des privatrechtlich strukturierten Frauenchores fand nach den bindenden Feststellungen des Landessozialgerichts freiwillig, unentgeltlich und im Interesse des Gemeinwohls im Rahmen einer kirchlichen Veranstaltung statt. Der Weg dahin stand deshalb in innerem Zusammenhang mit dem versicherten Ehrenamt, selbst wenn die Klägerin das Singen in dem Chor vornehmlich aus Freude am Gesang und der Gemeinschaft ausüben wollte. Denn Freude gehört zum Wesen des Ehrenamts.


    Aus dem Fall:


    G. M. ./. Unfallkasse Sachsen-Anhalt, beigeladen: Verwaltungs-BG


    Die Klägerin war Mitglied eines Frauenchores, der am 3.12.2016 in den Räumlichkeiten einer evangelischen Kirchengemeinde ein öffentliches Adventssingen darbieten wollte. Auf dem Weg zu diesem Auftritt verunglückte die Klägerin mit ihrem PKW bei Glatteis. Während sich zwei weitere Chormitglieder als Insassen leicht verletzten, zog sich die Klägerin ua eine hypoxische Hirnschädigung zu und leidet seitdem unter einer Lähmung aller Extremitäten. Die Absprache für den Auftritt erfolgte zwischen der Vorsitzenden des Frauenchores und dem Pfarrer der Kirchengemeinde. Die Raumnutzung erfolgte im Einverständnis mit der Kirchengemeinde, die die Veranstaltung im "L. Echo" unter der Rubrik "Kirchliche Nachrichten" als "Weihnachtskonzert" ankündigte. Zuwendungen oder Aufwandsentschädigungen für die Chormitglieder wegen des Auftritts waren nicht vorgesehen.


    Die Beigeladene verneinte Versicherungsschutz. Das hiergegen gerichtete Widerspruchsverfahren ruht. Auch die Beklagte lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls mangels Versicherungsschutzes ab. Anders als das Sozialgericht hat das Landessozialgericht die Klage auf Feststellung eines Arbeitsunfalls abgewiesen. Insbesondere gebe es keinen Anhaltspunkt, dass die Klägerin ehrenamtlich für eine entsprechende öffentlich- oder privatrechtliche Organisation bzw im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung für eine öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaft tätig gewesen sei. Einem Versicherungsschutz nach der Satzung der Beklagten stehe die im Wesentlichen eigenwirtschaftlich geprägte Handlungstendenz der Klägerin entgegen. Sie habe das Singen in dem Chor aus "Freude am Gesang und der Gemeinschaft" ausgeübt.


    Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 3 Abs. 1 Nr. 4 SGB VII iVm § 34 Abs. 2 der Satzung der Beklagten. Umfasst seien vom Versicherungsschutz kraft Satzung auch private Tätigkeiten im Gemeinwohlinteresse.


    Terminsbericht:


    Die Revision der Klägerin war im Sinne der Verurteilung der notwendig Beigeladenen erfolgreich. Die Klägerin hat auf dem Weg zum öffentlichen Adventssingen in den Räumlichkeiten einer evangelischen Kirchengemeinde einen Arbeitsunfall erlitten.


    Seit dem Gesetz zur Verbesserung des unfallversicherungsrechtlichen Schutzes bürgerschaftlich Engagierter und weiterer Personen vom 9.12.2004 ist der Versicherungsschutz nicht mehr von einem unmittelbar ehrenamtlichen Tätigwerden für eine Religionsgemeinschaft abhängig. Ausreichend ist seither ein nur mittelbar ehrenamtliches Tätigwerden über eine privatrechtliche Organisation (§ 2 Abs. 1 Nr. 10 Buchst b SGB VII). Die Klägerin war für eine private Organisation mit ausdrücklicher Einwilligung einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft tätig. Denn das Adventssingen des privat organisierten Frauenchores fand nach den bindenden Feststellungen des LSG freiwillig, unentgeltlich und im Interesse des Gemeinwohls im Rahmen einer kirchlichen Veranstaltung statt. Auf die weitergehende Bekleidung eines Ehrenamts kommt es für den Versicherungsschutz bürgerschaftlich Engagierter nicht an. Der Weg zur Teilnahme am beabsichtigten Adventskonzert stand deshalb in innerem Zusammenhang mit dem versicherten Ehrenamt, selbst wenn die Klägerin das Singen in dem Chor vornehmlich aus Freude am Gesang und der Gemeinschaft ausüben wollte. Dass eine ehrenamtliche Tätigkeit mit Freude daran oder an der Gemeinschaft ausgeübt wird, gehört zum Wesen des Ehrenamts.


    Zuständig für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz ist die beigeladene Verwaltungs-Berufsgenossenschaft. Der subsidiäre Versicherungsschutz kraft Satzung der Beklagten (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 SGB VII iVm § 34 Abs. 2 der Satzung) tritt dahinter zurück.


    BSG-Urteil vom 08. Dez 2022 - B 2 U 19/20 R - BSG PM 44/2022 und BSG PM 46/2022

    Vorinstanzen:

    Sozialgericht Halle - S 23 U 67/18, 07.11.2019

    Landessozialgericht Sachsen-Anhalt - L 6 U 14/20, 24.09.2020

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