Verfassungsrecht 2 BvG 1/19, 2 BvG 1/21 - Unzulässige Anträge Sachsens und Thüringens im Bund-Länder-Streit wegen zukünftiger Sanierungskosten für durch DDR-Staatsbetriebe verursachte Umweltschäden

  • Mit einem veröffentlichten Beschluss hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in zwei Bund-Länder-Streitigkeiten Anträge der Länder Sachsen und Thüringen als unzulässig verworfen. Diese waren im Kern darauf gerichtet, den Bund zu verpflichten, sich an der Finanzierung weiterer Sanierungskosten für ökologische Altlasten zu beteiligen, die durch ehemalige staatseigene Betriebe der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) verursacht wurden.

    Im Rahmen der Privatisierung ehemaliger Staatsbetriebe der DDR nach der Wiedervereinigung wurden Investoren häufig von der Haftung für vor dem 1. Juli 1990 verursachte Umweltschäden entbunden. Für die Finanzierung dieser Haftungsfreistellungen schlossen der Bund und die ostdeutschen Länder, darunter Sachsen und Thüringen, ein Verwaltungsabkommen, das die Kostenverteilung zwischen Bund und Ländern regelte. Dieses Abkommen wurde im Hinblick auf einzelne Länder durch sogenannte Generalverträge modifiziert, die eine pauschalierte Abgeltung des zukünftigen Anteils des Bundes an den voraussichtlichen Altlastensanierungskosten vorsahen. Für den Fall, dass die Kosten tatsächlich höher ausfielen als angenommen, sollte unter bestimmten Voraussetzungen über die Mehrkostenverteilung verhandelt werden. Nach Berechnungen Sachsens und Thüringens wird mehr Geld für die Altlastensanierung benötigt als angenommen. Der Bund war nicht zu Verhandlungen bereit.


    Die Anträge der Freistaaten Sachsen und Thüringen sind unzulässig. Sie haben ihre Antragsbefugnis nicht hinreichend dargelegt. Sie zeigen keine verfassungsrechtliche Pflicht der Bundesrepublik Deutschland auf, zukünftige Kosten für die Altlastensanierung (anteilig) zu tragen. Eine solche Pflicht ist weder im Hinblick auf Art. 104a Abs. 1 GG noch auf ungeschriebene Verfassungsgrundsätze dargelegt.


    Sachverhalt:


    Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung wurden die ehemaligen staatseigenen Betriebe der DDR in die bundeseigene Treuhandanstalt (Treuhand) überführt und von dieser privatisiert. In vielen Fällen vereinbarte die Treuhand mit Investoren Haftungsfreistellungen für durch die Betriebe verursachte Umweltschäden. Diese sollten allerdings nur greifen, wenn keine gesetzliche Haftungsfreistellung, insbesondere nach Art. 1 § 4 Abs. 3 URaG (des Umweltrahmengesetzes), in Betracht kam. Im Jahr 1992 schlossen der Bund und die ostdeutschen Länder das Verwaltungsabkommen zur Regelung der Finanzierung der ökologischen Altlasten (Verwaltungsabkommen). Dieses sieht unter anderem eine Verteilung der Freistellungskosten für ökologische Altlasten zwischen der Treuhand (60 % oder 75 %) und dem jeweiligen Land (40 % oder 25 %) vor. Infolge praktischer Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Verwaltungsabkommens schlossen einige Länder, darunter die Freistaaten Sachen und Thüringen, Generalverträge mit der Treuhand, zwischenzeitlich umbenannt in Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben.


    Dem Generalvertrag mit dem Freistaat Sachsen liegt ein Gesamtsanierungsaufwand von 350 Millionen Euro zugrunde. Für den Fall, dass bis 2018 feststeht, dass dieser Aufwand deutlich höher ausfällt als zunächst geschätzt, sollten die Parteien in Verhandlungen über die Mehrkosten treten. Im Oktober 2018 teilte der Freistaat Sachsen dem Bundesministerium der Finanzen und der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Rechtsnachfolgerin der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben) mit, dass in 2027 die Kostenschwelle erreicht sein werde und Mehrkosten von etwa 234 Millionen Euro entstehen würden. Er begehrte die Aufnahme von Nachverhandlungen. Das Bundesministerium der Finanzen und die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben lehnten dies ab.


    Der Generalvertrag mit dem Freistaat Thüringen ging von einem Gesamtsanierungsaufwand von etwa 1,3 Milliarden Deutsche Mark aus. Bei einer erheblichen Kostenüberschreitung binnen zehn Jahren sollten die Parteien über die Mehrkosten verhandeln. Nach Berechnung des Freistaats Thüringen wurde die Kostengrenze im Jahr 2017 überschritten. Nach diversen Schriftwechseln forderte er das Bundesministerium der Finanzen und die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben abschließend zum Eintritt in Verhandlungen auf. Eine Reaktion erfolgte nicht.


    Wesentliche Erwägungen des Senats:


    Die Anträge sind unzulässig. Den antragstellenden Freistaaten Sachsen und Thüringen fehlt die Antragsbefugnis.


    I. Das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 9. November 2018 bringt zwar die (endgültige) Weigerung des Bundes zum Ausdruck, weitere Kosten für die Altlastensanierung in Sachsen zu übernehmen oder darüber zu verhandeln. Eine Verletzung oder unmittelbare Gefährdung durch das Grundgesetz übertragener Rechte und Pflichten bedeutet dies indes nicht. Der Freistaat Sachsen zeigt kein materielles Verfassungsrechtsverhältnis und damit auch keine verfassungsrechtlich abzuleitende Pflicht des Bundes zur begehrten Kostentragung auf. Eine solche Pflicht ist weder im Hinblick auf Art. 104a Abs. 1 GG noch auf ungeschriebene Verfassungsgrundsätze hinreichend dargelegt.


    1. a) Nach Art. 104a Abs. 1 GG tragen der Bund und die Länder – soweit im Grundgesetz nichts anderes bestimmt ist – gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer jeweiligen Aufgaben ergeben. Für die Zuordnung der Finanzierungsverantwortung ist an die Verwaltungsverantwortung anzuknüpfen.


    Der Freistaat Sachsen hat nicht hinreichend dargelegt, dass nach dem Grundgesetz die Verwaltungskompetenz und damit auch die Finanzierungsverantwortung hinsichtlich Art. 1 § 4 Abs. 3 URaG vollumfänglich dem Bund zugewiesen ist. Für die Bestimmung der Verwaltungskompetenz für das Umweltrahmengesetz ist nicht entscheidend, dass die Treuhand bei der Veräußerung von Betrieben in vielen Fällen mit dem jeweiligen Investor vertragliche Freistellungsverpflichtungen für ökologische Altlasten vereinbart hatte. Diese Freistellung auf privatrechtlicher Grundlage begründet keine Annexzuständigkeit für die öffentlich-rechtliche Freistellung nach dem Umweltrahmengesetz, dessen Vollzug durch die Landesbehörden erfolgt. Gleiches gilt, soweit er eine Verwaltungszuständigkeit des Bundes kraft Natur der Sache ableiten will. Es ist nicht dargetan, weshalb der Zweck des Gesetzes durch ein einzelnes Land nicht erreicht werden kann.


    b) Auch unter der Annahme einer überschneidenden Aufgabenzuständigkeit von Bund und Ländern für „Altlastenfreistellungen“ zeigt der Freistaat Sachsen keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf vollständige oder teilweise Kostenerstattung aus Art. 104a Abs. 1 GG auf. Die Bestimmung nimmt lediglich die Primärzuordnung der aufgabenbezogenen Ausgabenlast zwischen Bund und Ländern vor, ohne aber einen Anspruch auf Kostentragung zu begründen. Mit dem Verwaltungsabkommen und dem Generalvertrag bleibt die grundsätzliche Zuordnung der Finanzlasten unberührt. Gegenstand der Verträge ist die Konkretisierung der Aufgaben- und Lastenverteilung entsprechend dem jeweiligen Anteil an der Wahrnehmung der Aufgabe „Altlastenfreistellung“. Hierdurch wird kein materielles Verfassungsrechtsverhältnis zwischen dem Freistaat Sachsen und dem Bund begründet. Die Verträge gehen nach ihrem Inhalt und der Materie, die sie regeln, nicht über verwaltungsrechtliche Gegenstände hinaus.


    2. Soweit der Freistaat Sachsen eine Verletzung des Gebots der Bundestreue und der föderativen Gleichbehandlung der Länder aus Art. 20 Abs. 1 GG rügt, weil die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben mit den einzelnen Ländern unterschiedliche Vereinbarungen über die Kostenübernahme zur Beseitigung der Altlasten geschlossen habe, legt er ebenfalls kein materielles Verfassungsrechtsverhältnis dar. Denn insoweit kann lediglich der anzulegende Prüfungsmaßstab dem Verfassungsrecht entnommen werden. Der von dem Freistaat Sachsen begehrte Anspruch auf Vertragsanpassung gründet hingegen nicht in einer verfassungsrechtlichen Pflicht, sondern leitet sich aus nichtverfassungsrechtlichen Verträgen ab. In einem Bund-Länder-Streit kann sich der Antragsteller nur dann auf die akzessorischen Verfassungsgrundsätze der föderativen Gleichbehandlung und der Bundestreue berufen, wenn das anderweitig begründete Rechtsverhältnis unmittelbar der Verfassung entstammt. Daran fehlt es hier.


    II. Dem Bund-Länder-Streit mit dem Freistaat Thüringen liegen die gleichen Rechtsfragen zugrunde. Dem Freistaat Thüringen fehlt ebenfalls die Antragsbefugnis. Auch er legt nicht hinreichend dar, dass sich aus Art. 104a Abs. 1 GG oder aus dem Gebot der Bundestreue und der föderativen Gleichbehandlung der Länder eine Pflicht des Bundes zur Kostentragung ergibt.


    BVerfG-Beschluss vom 15. November 2023 - 2 BvG 1/19, 2 BvG 1/21 - BVerfG PM 113/2023

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