1 BvR 2008/97 und 1 BvR 1988/97 - Restitutionsansprüche nach dem Vermögensgesetz scheitern nicht an Unvollständigkeit einer "Kettenerbausschlagung"

  • Die 1. Kammer des Ersten Senats hat in mehreren das Vermögensrecht betreffenden Verfahren Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Die Beschwerden hatten Erben "dritter Ordnung" (bzw. deren Nachlasspfleger) gegen behördliche und gerichtliche Entscheidungen erhoben, nach denen Restitutionsansprüche nach dem Vermögensgesetz (VermG) nicht an der Unvollständigkeit einer Kettenerbausschlagung scheitern, wenn das vererbte Grundstück "nur" tatsächlich in Volkseigentum übernommen worden ist.

    1 I.

    In den Verfassungsbeschwerde-Verfahren ging es jeweils um ein in der DDR gelegenes Grundstück, das Teil eines Nachlasses war, den die Erben "erster" (= Abkömmlinge des Erblassers) und "zweiter Ordnung" (= Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge) bzw. der testamentarisch eingesetzte Haupterbe und dessen Kind in den Jahren 1974 und 1980 ausgeschlagen hatten. Da sich weitere Erben nicht ermitteln ließen, wurden zugunsten der DDR Erbscheine ausgestellt und die Grundstücke in Volkseigentum überführt.


    1990 bzw. 1991 beantragte die Tochter des einen Erblassers bzw. der testamentarisch eingesetzte Haupterbe des anderen Erblassers die Rückübertragung des jeweiligen Grundstücks gemäß § 1 Abs. 2 VermG (Wortlaut s. Anlage).


    Das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen gab beiden Anträgen statt.


    In der Folgezeit ergaben sich Anhaltspunkte dafür, dass noch Erben "dritter Ordnung" (= Großeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge) vorhanden sein könnten. Deshalb bestellte das Nachlassgericht auf Antrag jeweils einen Nachlasspfleger für diese - z.T. unbekannt gebliebenen - Erben (vgl. § 1960 Abs. 1 S. 2 Bürgerliches Gesetzbuch, Wortlaut s. Anlage). Nach erfolglos durchgeführten Widerspruchsverfahren fochten diese Erben (= Beschwerdeführer), vertreten durch ihren jeweiligen Nachlasspfleger, den Rückübertragungsbescheid vor dem Verwaltungsgericht an.

    Sie seien vor dem Fiskus der DDR als Erben berufen gewesen. Die DDR habe deshalb nicht wirksam Volkseigentum an den Grundstücken begründen können; dem Rückübertragungsbegehren der "erstausschlagenden" Erben hätte nicht stattgegeben werden dürfen. Die Beschwerdeführer blieben jedoch erfolglos. In letzter Instanz entschied jeweils das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), dass die erbrechtliche Position der Beschwerdeführer nicht geeignet sei, den Restitutionsanspruch der "erstausschlagenden" Erben zu Fall zu bringen.


    Gegen die behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen erhoben die Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde zum BVerfG und rügten insbesondere eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG (Willkürverbot) und Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentumsgarantie).

    2 II.

    Die 1. Kammer des Ersten Senats hat die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerden haben keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Rechte der Beschwerdeführer angezeigt; denn die Verfassungsbeschwerden haben keine Aussicht auf Erfolg.


    Zur Begründung heißt es u.a.:


    1. Eine Verletzung der Eigentumsgarantie kann nicht festgestellt werden.


    Die Regelung des § 1 Abs. 2 VermG ist wegen Art. 143 Abs. 3 GG (Wortlaut s. Anlage) verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, und zwar auch dann nicht, wenn sie in der Auslegung durch das BVerwG zum Entzug noch vorhandener - auf Erbgang beruhender - Eigentumspositionen führt.


    a) Art. 143 Abs. 3 GG sichert den verfassungsrechtlichen Bestand des Art. 41 des Einigungsvertrages (EV; Wortlaut s. Anlage) und der Regelungen zu seiner Durchführung auch insoweit, als diese vorsehen, dass Eingriffe in das Eigentum im Beitrittsgebiet nicht mehr rückgängig gemacht werden. Es ist verfassungsrechtlich geklärt, dass diese Bestandsgarantie auch für solche Rechtssätze gilt, die erst im Wege der Gesetzesauslegung als Inhalt des jeweiligen Regelungswerks erkannt werden. Dabei ist der Begriff des Eingriffs in Art. 143 Abs. 3 GG so auszulegen, dass er auch Eingriffe aufgrund solcher Rechtsnormen umfasst, die - wie in den vorliegenden Fällen - die Rückgängigmachung eines jedenfalls faktisch eingetretenen Eigentumsverlusts ausschließen und damit zum Verlust evtl. noch vorhandener formaler Rechtspositionen führen.


    b) Auch § 1 Abs. 2 VermG in der hier zu beurteilenden Auslegung durch das BVerwG unterfällt danach dem Geltungsbereich des Art. 143 Abs. 3 GG.


    Nach dem Verständnis des BVerwG bestimmt § 1 Abs. 2 VermG für den Fall der "Kettenerbausschlagung" folgendes:

    • Von mehreren Ausschlagenden ist grundsätzlich der "erstausschlagende" Erbe vorrangig rückübertragungsberechtigt.
    • Nachrangige Erben, die - weil unbekannt - trotz Erbberechtigung nicht berücksichtigt worden sind, können keine Herausgabeansprüche mehr geltend machen, wenn vorrangige Erben die Rückübertragung beantragt haben.

    Angesichts dieser besonderen "Konkurrenz" zwischen mehreren Erben stellt die Lösung des BVerwG - nämlich die Bevorzugung der vorrangigen und in erster Linie von der in § 1 Abs. 2 VermG vorausgesetzten ökonomischen Zwangssituation Betroffenen - auch keinen Eingriff in einen durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kernbereich der Eigentumsgarantie dar.


    2. Das BVerwG hat mit seinen Entscheidungen auch nicht gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.


    Die Urteile sind rechtlich vertretbar und beruhen nicht auf sachfremden Erwägungen.


    a) Das BVerwG hat seine Auffassung vom Vorrang des Restitutionsanspruchs des "erstausschlagenden" Erben eingehend und nachvollziehbar begründet. Die dieser Auffassung zugrundeliegende Wertung wird im Schrifttum von vielen Stimmen geteilt. Danach erschiene es wenig interessengerecht, dem nachrangig berechtigten Erben, der erst nach der politischen Wende im Gebiet der DDR überhaupt von seinem Erbe erfahren oder Interesse daran gezeigt habe, das "bessere Recht" des Geschädigten zuzugestehen. Zugunsten des vorrangig berechtigten Erben spreche insoweit, dass er eine stärkere Beziehung zum Erblasser und damit in der Regel wohl auch zu dem fraglichen Vermögenswert gehabt haben dürfte und das Erbe aus Gründen ausgeschlagen habe, die nach dem Willen des Gesetzgebers zu einem Wiedergutmachungsanspruch führen könnten.


    b) Das BVerwG ist auch nicht - wie die Beschwerdeführer meinen - vom eindeutigen Wortlaut des § 1 Abs. 2 VermG abgewichen. Denn die Formulierung "in Volkseigentum übernommen" lässt auch die Annahme zu, dass es auf die faktische Übernahme ankommen soll.


    c) Eine Verletzung des Willkürverbots lässt sich schließlich auch nicht damit begründen, dass - anders als bei Erbausschlagungen - bei den übrigen Tatbestandsalternativen des § 1 Abs. 2 VermG (= Enteignungen, Eigentumsverzichte und Schenkungen) jedenfalls in der Regel Eigentum nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich wirksam begründet worden sein dürfte. Dieser Umstand führt nicht zwingend dazu, dass bei allen Tatbestandsvarianten auf die rechtlich wirksame Entstehung von Volkseigentum abgestellt werden muss. Nicht jede, sondern nur die wesentliche Abweichung im tatsächlichen Bereich kann eine unterschiedliche rechtliche Beurteilung erfordern. Die Auffassung des BVerwG, dass es für die Annahme eines Rückübertragungsanspruchs nach dem VermG gerade nicht wesentlich ist, ob es zu einer rechtlich wirksamen oder nur zu einer tatsächlichen Begründung von Volkseigentum gekommen ist, ist von daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.


    BVerfG-Beschluss vom 31. März 1998, Beschluss vom 31. März 1998 - BVerfG PM 42/1998

    1 BvR 2008/97

    1 BvR 1988/97

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