Europarecht C-621/21 - Gewalt gegen Frauen: Der Gerichtshof erläutert die Voraussetzungen für die Gewährung internationalen Schutzes

  • Frauen können insgesamt als einer sozialen Gruppe im Sinne der Richtlinie 2011/95 zugehörig angesehen werden und es kann ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden, wenn die in dieser Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind. Dies ist der Fall, wenn sie in ihrem Herkunftsland aufgrund ihres Geschlechts physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt und häuslicher Gewalt, ausgesetzt sind. Sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllt, kann ihnen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt werden, insbesondere wenn sie tatsächlich Gefahr laufen, getötet zu werden oder Gewalt zu erfahren.

    Eine türkische Staatsangehörige kurdischer Herkunft, bei der es sich um eine geschiedene Muslimin handelt und die vorbringt, von ihrer Familie zwangsverheiratet und von ihrem Ehemann geschlagen und bedroht worden zu sein, fürchtete für den Fall ihrer Rückkehr in die Türkei um ihr Leben und stellte in Bulgarien einen Antrag auf internationalen Schutz.


    Das mit der Rechtssache befasste bulgarische Gericht hat beschlossen, dem Gerichtshof Fragen vorzulegen.


    Die Richtlinie 2011/951 legt die Voraussetzungen für die Zuerkennung zum einen der Flüchtlingseigenschaft und zum anderen des subsidiären Schutzes für Drittstaatsangehörige fest. Die Flüchtlingseigenschaft ist in Fällen der Verfolgung von Drittstaatsangehörigen wegen der Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe vorgesehen. Der subsidiäre Schutz wiederum gilt für jeden Drittstaatsangehörigen, der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt, aber stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, was insbesondere die Hinrichtung und eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung einschließt.


    Der Gerichtshof entscheidet, dass die Richtlinie im Einklang mit dem Übereinkommen von Istanbul2 auszulegen ist, das die Europäische Union bindet und Gewalt gegen Frauen aufgrund des Geschlechts als eine Form der Verfolgung anerkennt. Außerdem weist der Gerichtshof darauf hin, dass Frauen insgesamt als einer sozialen Gruppe im Sinne der Richtlinie 2011/95 zugehörig angesehen werden können. Folglich kann ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden, wenn sie in ihrem Herkunftsland aufgrund ihres Geschlechts physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt und häuslicher Gewalt, ausgesetzt sind.


    Sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllt, können sie auch dann Anspruch auf subsidiären Schutz haben, wenn ihnen von einem Angehörigen ihrer Familie oder ihrer Gemeinschaft tatsächlich angedroht wird, wegen eines angenommenen Verstoßes gegen kulturelle, religiöse oder traditionelle Normen getötet zu werden oder andere Gewalttaten zu erleiden.



    Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-621/21 | Intervyuirasht organ na DAB pri MS (Frauen als Opfer häuslicher Gewalt) | 16. Jan 2024 | EuGH PM 07/2024


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    1 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes.

    2 Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 11. Mai 2011.

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