Börsenrecht II ZR 56/21, II ZR 57/21, II ZR 58/21 und II ZR 59/21 - Hinweise zur Abgrenzung zwischen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung und der Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluss

  • Beim II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs sind mehrere Verfahren anhängig, die die Haftung von Gründungsgesellschaftern einer Publikumskommanditgesellschaft betreffen, die Immobilieninvestments auf dem US-amerikanischen Markt plante. Die Anleger, die sich Ende 2010 bzw. im Jahr 2011 an der Gesellschaft beteiligten, machen geltend, sie seien nicht hinreichend über kapitalmäßige bzw. personelle Verflechtungen aufgeklärt worden. Die im Wesentlichen auf Feststellung einer Schadensersatzpflicht gerichteten Klagen hatten in den Vorinstanzen Erfolg.

    BGH PM 108/2023


    Auf die Beschwerden der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Bundesgerichtshof durch Beschlüsse vom 21. März 2023 die Revisionen zugelassen (Pressemitteilung vom 22. März 2023 BGH PM 56/2023).


    Die Parteien der Revisionsverfahren wurden durch Beschlüsse vom 27. Juni 2023 darauf hingewiesen, dass nach der vorläufigen rechtlichen Bewertung des II. Zivilsenats eine Haftung der geschäftsführenden Kommanditistin der Fondsgesellschaft unter dem Gesichtspunkt eines Verschuldens bei Vertragsschluss in Betracht kommt.


    Der II. Zivilsenat beabsichtigt, an seiner Rechtsprechung festzuhalten, nach der im Anwendungsbereich der spezialgesetzlichen Prospekthaftung nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung eine Haftung der Altgesellschafter wegen Verletzung von Aufklärungspflichten gemäß § 280 Abs. 1 und 3 BGB, §§ 282 BGB, 241 Abs. 2 BGB, § 311 Abs. 2 BGB nicht ausgeschlossen wird. Die mit dem Gesetz zur Verbesserung des Anlegerschutzes vom 28. Oktober 2004 (BGBl. I S. 2630) geschaffenen spezialgesetzlichen Aufklärungspflichten und das mit ihnen verbundene Haftungsregime rechtfertigen unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des XI. Zivilsenats allerdings eine Neuausrichtung der nach der bisherigen Rechtsprechung des II. Zivilsenats bestehenden allgemeinen Aufklärungspflichten der Altgesellschafter. Eine vorvertragliche Aufklärungspflicht trifft danach nur noch solche Altgesellschafter, die entweder selbst den Vertrieb der Beteiligungen an Anleger übernehmen oder in sonstiger Weise für den von einem anderen übernommenen Vertrieb Verantwortung tragen.


    Vertriebsverantwortung tragen danach, soweit der Vertriebsauftrag von der Fondsgesellschaft erteilt wurde, die geschäftsführungsbefugten Altgesellschafter. Eine Altgesellschafterin trägt die Verantwortung für eine ordnungsgemäße Aufklärung der Beteiligungsinteressenten aber nicht allein deswegen, weil ihr Alleingesellschafter aufgrund eines von der Fondsgesellschaft erteilten Auftrags den Vertrieb der Beteiligungen übernommen hat. Eine personelle Verflechtung eines Altgesellschafters mit der Vertriebsgesellschaft begründet ebenfalls keine Verantwortung für den Vertrieb.


    Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Anfrage des II. Zivilsenats mitgeteilt, dass seine Rechtsprechung, nach der die spezialgesetzliche Prospekthaftung gemäß den § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung in ihrem Anwendungsbereich eine Haftung der Gründungsgesellschafter als Prospektveranlasser unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung gemäß § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB ausschließt, einer an die Vertriebsverantwortung anknüpfenden Haftung der Altgesellschafter gemäß § 280 Abs. 1 und 3 BGB, §§ 282 BGB, 241 Abs. 2 BGB, § 311 Abs. 2 BGB wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten nicht entgegensteht.


    BGH-Beschlüsse vom 27. Juni 2023 - II ZR 57/21, II ZR 58/21 und II ZR 59/21


    ____________________________


    BGH PM 56/2023


    Vorläufig noch keine Entscheidung zur Abgrenzung zwischen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung und der Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluss


    Mit ihren Beschwerden wenden sich die Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision. Sie verweisen insbesondere auf die Rechtsprechung des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, nach der die spezialgesetzliche Prospekthaftung gemäß den § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung in ihrem Anwendungsbereich eine Haftung der Gründungsgesellschafter als Prospektveranlasser unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung gemäß § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB ausschließe (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237).


    Der II. Zivilsenat des Bundesgerichts hat demgegenüber am 25. Oktober 2022 entschieden, dass die spezialgesetzliche Prospekthaftung gemäß den § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung in ihrem Anwendungsbereich eine gesellschaftsrechtliche Haftung der Gründungs- bzw. Altgesellschafter wegen einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung gemäß § 311 Abs. 2 BGB, § 241 Abs. 2 BGB, § 280 Abs. 1 BGB nicht ausschließe (BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2022 – II ZR 22/22). Ein Vorlageverfahren gemäß § 132 Abs. 2 und Abs. 3 GVG kam in dem betreffenden Fall nicht in Betracht, weil die Rechtsfrage, die der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs anders als der XI. Zivilsenat beantwortet, im Streitfall nicht entscheidungserheblich war.


    Der II. Zivilsenat hatte im Verfahren II ZR 56/21 die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen und für den 21. März 2023 Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt. Die beklagten Gründungsgesellschafterinnen haben ihre Revision vor der Verhandlung zurückgenommen, so dass der Termin aufgehoben wurde.


    In den ähnlich gelagerten Verfahren II ZR 57/21, II ZR 58/21 und II ZR 59/21 hat der Bundesgerichtshof die Revision nunmehr durch Beschlüsse vom 21. März 2023 zugelassen.


    BGH-Verfahren II ZR 56/21, II ZR 57/21, II ZR 58/21 und II ZR 59/21; BGH PM 56/2023

    Vorinstanzen:

    II ZR 56/21

    OLG Hamburg - 1 U 181/19 – Entscheidung vom 25.03.2021

    LG Hamburg - 412 HKO 166/17 – Entscheidung vom 19.07.2019

    und


    II ZR 57/21

    OLG Hamburg - 1 U 180/19 – Entscheidung vom 25.03.2021

    LG Hamburg - 412 HKO 165/17 - Entscheidung vom 19.07.2019

    und


    II ZR 58/21

    OLG Hamburg - 1 U 177/19 – Entscheidung vom 25.03.2021

    LG Hamburg - 412 HKO 158/17 - Entscheidung vom 19.07.2019

    und


    II ZR 59/21

    OLG Hamburg - 1 U 178/19 -Entscheidung vom 25.03.2021

    LG Hamburg - 412 HKO 161/17 – Entscheidung vom 19.07.2019

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