Sozialrecht B 5 R 29/21 R und B 5 R 31/21 R - Keine höhere Erwerbsminderungsrente für Bestandsrentner

  • Rentner, deren Erwerbsminderungsrente bereits vor dem 1. Januar 2019 begann, haben keinen Anspruch auf eine Neuberechnung ihrer Rente nach den inzwischen geltenden, deutlich günstigeren Regelungen. Sie können nicht verlangen, dass bei ihrer Rente Zurechnungszeiten in demselben Umfang berücksichtigt werden, wie das bei den ab 2018 und vor allem bei den ab 2019 neu bewilligten Renten geschieht. Das hat der 5. Senat des Bundessozialgerichts am 10. November 2022 entschieden (Aktenzeichen B 5 R 29/21 R und B 5 R 31/21 R).

    Die in den beiden Revisionsverfahren klagenden Rentner erhalten aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen, die einer weiteren Erwerbstätigkeit entgegenstehen, bereits seit 2004 beziehungsweise 2014 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Sie gehören damit zur Gruppe der Bestandsrentner. Nach den in den Jahren 2018 und 2019 in Kraft getretenen gesetzlichen Regelungen kommen die - teilweise erheblichen - Verbesserungen bei der Berechnung der Erwerbsminderungsrenten nur den Neurentnern zugute. Die Kläger forderten eine Gleichbehandlung und deshalb eine Berücksichtigung der verlängerten Zurechnungszeiten auch bei ihren Renten. Der Rentenversicherungsträger und die Vorinstanzen lehnten das ab.



    Das Bundessozialgericht hat diese Entscheidungen bestätigt. Der 5. Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass die Begrenzung der zum 1. Januar 2018 und 1. Januar 2019 eingeführten Leistungsverbesserungen auf die ab diesen Stichtagen neu hinzukommenden Erwerbsminderungsrentner dem Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes widerspricht. Bei Anwendung des vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Prüfungsmaßstabs für solche Stichtagsregelungen war ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG (Grundgesetz) nicht feststellbar. Die vom Gesetzgeber angeführten Gründe für die Differenzierung zwischen Bestands- und Neurentnern sind sachlich nachvollziehbar und nicht willkürlich. Es entspricht einem Strukturprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung, dass Leistungsverbesserungen ebenso wie Leistungskürzungen grundsätzlich nur für neu bewilligte Renten gelten. Der Gesetzgeber durfte auch auf den erheblichen organisatorischen und finanziellen Mehraufwand bei sofortiger Einbeziehung der Bestandsrentner abstellen. Zudem war zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mittlerweile für die Bestandsrentner einen Zuschlag zu ihrer Erwerbsminderungsrente und ebenso zu einer daran anschließenden Altersrente eingeführt hat, der ihnen ab dem 1. Juli 2024 zustehen wird. Der 5. Senat hat deshalb davon abgesehen, die Verfahren - wie von den Klägern gefordert - auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesver-fassungsgerichts einzuholen, ob die gesetzliche Regelung verfassungswidrig ist.


    BSG PM 42/2022


    Aus den Fällen:


    Verfahren: B 5 R 29/21 R


    H. M. ./. DRV Bund

    Der Kläger begehrt eine höhere Rente wegen Erwerbsminderung. Streit besteht darüber, ob er als sog. Bestandsrentner eine Neuberechnung der Rente nach den Regelungen verlangen kann, die ab dem 1.1.2019 für Neurentner galten.


    Der im Jahr 1956 geborene Kläger bezog seit März 2004 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Bei deren Berechnung legte der beklagte Rentenversicherungsträger für den Zeitraum vom Eintritt der Erwerbsminderung im August 2003 bis zur Vollendung des 60. Lebensjahrs eine Zurechnungszeit von 154 Monaten zugrunde. Es ergaben sich insgesamt ca 47,6 persönliche Entgeltpunkte, von denen ca 14,3 persönliche Entgeltpunkte auf die Zurechnungszeiten entfielen. Daraus wurde eine monatliche Rente in Höhe von damals ca 1240 Euro berechnet. Im Januar 2019 verlangte der Kläger eine Neuberechnung seiner Erwerbsminderungsrente unter Berücksichtigung einer Zurechnungszeit, die erst mit Vollendung des 65. Lebensjahrs und acht Monaten endet, dh von zusätzlichen 68 Monaten. Dass die ab dem 1.1.2019 vorgesehene verbesserte Anrechnung von Zurechnungszeiten nur Erwerbsminderungsrentnern zugutekomme, deren Rente ab diesem Stichtag beginne, sei eine ungerechtfertigte Benachteiligung der Bestandsrentner. Die Beklagte lehnte eine Neuberechnung der Rente ab und wies auch den Widerspruch des Klägers zurück. Das Klage- und Berufungsverfahren ist ebenfalls ohne Erfolg geblieben. SG und LSG haben ausgeführt, der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG werde durch die unterbliebene Einbeziehung der Bestandsrentner in die Vergünstigung einer verlängerten Zurechnungszeit nicht verletzt. Der Gesetzgeber habe bei der Ausgestaltung der nicht auf eigenen Beiträgen beruhenden Zurechnungszeiten einen weiten Gestaltungsspielraum.


    Mit seiner vom BSG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.


    Vorinstanzen:

    Sozialgericht Duisburg - S 53 R 507/19, 22.10.2019

    Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 14 R 883/19, 13.03.2020


    Die Revision ist ohne Erfolg geblieben. Der Kläger hat als Bestandsrentner keinen Anspruch darauf, dass seine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1.1.2019 unter Berücksichtigung der ab diesem Zeitpunkt für Neurentner maßgeblichen längeren Zurechnungszeit neu festgesetzt wird.


    Die Voraussetzungen des hier einschlägigen § 48 Abs. 1 SGB X zur Anpassung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung im Fall einer Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse sind nicht erfüllt. Mit Inkrafttreten des § 253a Abs. 2 SGB VI zur Verlängerung der Zurechnungszeit am 1.1.2019 ist eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse, die bei Erlass des für den Kläger zuletzt maßgeblichen Rentenbescheids aus dem Jahr 2011 vorgelegen haben, nicht eingetreten. Der Wortlaut dieser Vorschrift ordnet eindeutig an, dass die Regelung nur für im Jahr 2019 beginnende Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gilt. Dass die Verbesserung der Zurechnungszeit nur den Rentenneuzugängen, nicht aber den Bestandsrentnern zugutekommen sollte, ergibt sich auch deutlich aus den Materialien zum Gesetzgebungsverfahren.


    Der Senat konnte unter Zugrundelegung des verfassungsrechtlich gebotenen Prüfungsmaßstabs für Stichtagsregelungen nicht die Überzeugung gewinnen, dass der Ausschluss der Bestandsrentner von einer Ausweitung der Zurechnungszeit das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG war somit kein Raum. Der Gesetzgeber reagierte mit der Verlängerung der Zurechnungszeiten auf das Absinken des Leistungsniveaus der Erwerbsminderungsrenten.


    Hiervon waren zwar auch die Bestandsrentner betroffen. Dass die Leistungsverbesserung nur der Gruppe der Neurentner zugutekommt, rechtfertigt sich aber aus zwei wesentlichen Erwägungen, die auch den Gesetzesmaterialien zu entnehmen sind. Zum einen wurde auf ein Strukturprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung abgestellt, nach dem Rechtsänderungen - Kürzungen ebenso wie Verbesserungen - grundsätzlich nur für die Zukunft erfolgen und auf bereits laufende Renten nicht übertragen werden. Zum anderen wurde auf den ansonsten ganz erheblichen organisatorischen und finanziellen Mehraufwand verwiesen. Beide Gesichtspunkte bezeichnen sachliche Gründe, die die Differenzierung nicht als willkürlich erscheinen lassen. Das gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Gesetzgeber mittlerweile ab dem 1.7.2024 in § 307i SGB VI Zuschläge für Bestandsrentner vorgesehen hat, deren Erwerbsminderungsrente in den Jahren 2001 bis 2018 begann. (Terminsbericht 42/2022)



    Verfahren: B 5 R 31/21 R


    C. S. ./. DRV Bund

    Auch in diesem Verfahren streiten die Beteiligten darüber, ob Bestandsrentner verlangen können, dass ihnen Verbesserungen bei den Zurechnungszeiten, die der Gesetzgeber erst nach Beginn ihrer Erwerbsminderungsrente eingeführt hat, zugutekommen.


    Die im Jahr 1957 geborene Klägerin bezieht seit August 2014 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Bei deren Berechnung legte der beklagte Rentenversicherungsträger für den Zeitraum vom Eintritt der Erwerbsminderung im Oktober 2013 bis zur Vollendung des 62. Lebensjahrs eine Zurechnungszeit von 64 Monaten zugrunde. Es ergaben sich insgesamt ca 38,2 persönliche Entgeltpunkte sowie 2,4 persönliche Entgeltpunkte (Ost); ca. 6,5 persönliche Entgeltpunkte entfielen auf die Zurechnungszeiten. Daraus wurde eine monatliche Rente in Höhe von damals ca 1155 Euro berechnet. Der Widerspruch gegen den Rentenbescheid blieb ohne Erfolg. Das SG hat die Klage abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin die Berücksichtigung verlängerter Zurechnungszeiten entsprechend § 253a SGB VI in den ab dem 1.1.2018 bzw ab dem 1.1.2019 geltenden Fassungen verlangt. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen und ausgeführt, dass für die Rentenhöhe die Rechtslage zum Zeitpunkt der erstmaligen Festsetzung der Rente maßgeblich sei. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG werde durch die unterbliebene Einbeziehung der Bestandsrentner in die Vergünstigung einer verlängerten Zurechnungszeit nicht verletzt. Der Gesetzgeber dürfe bei der Neuregelung von Lebenssachverhalten Stichtagsregelungen vorsehen, sofern hierfür nachvollziehbare sachliche Gründe vorlägen. Das sei hier der Fall, zumal die Ausweitung der Zurechnungszeiten auch einen Ausgleich für die Anhebung der gesetzlichen Altersgrenzen darstelle.


    Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.


    Vorinstanzen:

    Sozialgericht Schleswig - S 21 R 213/16, 27.08.2018

    Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht - L 1 R 160/18, 21.01.2021

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