Durch ein solches Staatsangehörigkeitserfordernis verletzen die Tschechische Republik und Polen ihre Pflicht, die Gleichbehandlung mit ihren Staatsangehörigen hinsichtlich der wirksamen Ausübung des passiven Wahlrechts bei Kommunal- und Europawahlen zu gewährleisten.
Das Unionsrecht gewährt Unionsbürgern mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunal- und Europawahlen. Die wirksame Ausübung dieses Rechts setzt voraus, dass diese Bürger gleichen Zugang zu den Mitteln haben, über die die Angehörigen dieses Mitgliedstaats für die Ausübung des Wahlrechts verfügen. Da die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei erheblich zur Ausübung des durch das Unionsrecht verliehenen Wahlrechts beiträgt, stellt der Gerichtshof fest, dass die Tschechische Republik und Polen dieses Recht verletzt haben, weil es Unionsbürgern mit Wohnsitz in diesen Mitgliedstaaten, deren Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, verwehrt ist, dort Mitglied einer politischen Partei zu werden. Ihr Beitritt zu einer politischen Partei ist nicht geeignet, die nationale Identität der Tschechischen Republik oder Polens zu beeinträchtigen.
Nach den tschechischen und polnischen Rechtsvorschriften haben nur die eigenen Staatsangehörigen das Recht, Mitglied einer politischen Partei zu werden. Die Europäische Kommission meint daher, dass Unionsbürger mit Wohnsitz in diesen Mitgliedstaaten, deren Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, ihr unionsrechtlich verankertes passives Wahlrecht bei Kommunal- und Europawahlen nicht unter den gleichen Bedingungen ausüben könnten wie die tschechischen und die polnischen Staatsangehörigen.
Da die Kommission darin eine nach dem Unionsrecht1 verbotene Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit sah, hat sie beim Gerichtshof zwei Vertragsverletzungsklagen gegen die Tschechische Republik und Polen erhoben2.
Der Gerichtshof gibt den beiden Klagen statt und stellt fest, dass diese beiden Mitgliedstaaten gegen die ihnen nach den Verträgen obliegenden Verpflichtungen verstoßen haben.
Er führt aus, dass die wirksame Ausübung des durch das Unionsrecht garantierten Wahlrechts bei Kommunal- und Europawahlen verlangt, dass Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, gleichen Zugang zu den Mitteln haben, über die die Angehörigen dieses Mitgliedstaats für die wirksame Ausübung des Wahlrechts verfügen.
Die politischen Parteien haben eine vorrangige Rolle im System der repräsentativen Demokratie, das den Wert der Demokratie konkretisiert, auf den sich die Union u. a. gründet. Folglich werden diese Unionsbürger durch das Verbot, einer politischen Partei anzugehören, hinsichtlich des passiven Wahlrechts bei Kommunal- und Europawahlen schlechter gestellt als tschechische und polnische Staatsangehörige. Die Wahl dieser Staatsangehörigen wird nämlich dadurch begünstigt, dass sie Mitglied einer politischen Partei sein können, die über Organisationsstrukturen sowie personelle, administrative und finanzielle Ressourcen verfügt, um ihre Kandidatur zu unterstützen. Außerdem ist die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei eines der Kriterien, an denen sich die Wähler orientieren.
Diese nach dem Unionsrecht verbotene Ungleichbehandlung kann nicht durch Gründe gerechtfertigt werden, die mit der Achtung der nationalen Identität zusammenhängen. Das Unionsrecht verlangt nämlich weder von den Mitgliedstaaten, den betreffenden Unionsbürgern das aktive und passive Wahlrecht bei den nationalen Wahlen einzuräumen, noch verbietet es ihnen, die Rolle dieser Bürger in einer politischen Partei im Kontext solcher Wahlen einzuschränken.
EuGH-Urteile des Gerichtshofs in den Rechtssachen C-808/21 | Kommission / Tschechische Republik und C-814/21 | Kommission / Polen (Passives Wahlrecht und Mitgliedschaft in einer politischen Partei) | 19. Nov 2024 | EuGH PM 194/2024
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1 Und zwar nach Art. 22 AEUV, der bestimmt, dass Jeder Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen und bei Wahlen zum Europäischen Parlament hat, wobei für ihn dieselben Bedingungen gelten wie für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats.
2 Die gegen die Tschechische Republik gerichtete Klage betrifft zudem das für Unionsbürger mit Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, bestehende Verbot, Mitglied einer politischen Bewegung zu werden.