Verwaltungsrecht 4 C 2.23 - Zur Frage der Offenkundigkeit der Funktionslosigkeit einer Festsetzung in einem übergeleiteten Berliner (Alt)Bebauungsplan

  • Für die Feststellung, dass eine Festsetzung in einem Bebauungsplan offenkundig funktionslos geworden ist, kommt es nicht auf die Erkenntnismöglichkeiten eines "Durchschnittsbetrachters" an. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden.

    Der Kläger begehrt einen Bauvorbescheid für einen Dachgeschossausbau in einem fünfgeschossigen Altbau in Berlin-Kreuzberg. Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich des Baunutzungsplans 1958/1960, der – mit Modifizierungen – als übergeleiteter Bebauungsplan fortgilt. Das Bezirksamt lehnte den Antrag ab. Klage und Berufung blieben erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorhaben als bauplanungsrechtlich unzulässig erachtet, weil es die im Bebauungsplan festgesetzte Geschossflächenzahl überschreite. Die Festsetzung sei nicht funktionslos geworden. Eine Befreiung komme nicht in Betracht.


    Das Bundesverwaltungsgericht hat das Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Das Oberverwaltungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass Betrachtungsraum für die Funktionslosigkeit stets der Baublock ist. Maßgeblich ist grundsätzlich das Plangebiet, in dem die Gemeinde ihre Planungsbefugnis und Gestaltungsfunktion nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB wahrgenommen hat. In Berlin ergibt sich insoweit eine äußerste Grenze aus dem Zuständigkeitsbereich der Bezirke. Das schließt eine Begrenzung auf ein kleineres Teilgebiet nicht aus, wenn die betroffene Festsetzung ihre Wirkung nach der Plankonzeption der Gemeinde gerade in diesem Teilbereich entfalten soll. Feststellungen dazu hat das Oberverwaltungsgericht nicht getroffen.


    Mit revisiblem Recht unvereinbar ist auch die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, für die Frage der Offenkundigkeit der Funktionslosigkeit sei auf den Empfängerhorizont eines Durchschnittsbürgers abzustellen. Das Erfordernis der Offenkundigkeit bezieht sich auf die fehlende Realisierungsmöglichkeit der Festsetzung auf unabsehbare Zeit. Dem voraus liegt die Feststellung einer von der planerischen Festsetzung objektiv abweichenden tatsächlichen Entwicklung. Ob die Festsetzung angesichts der tatsächlichen Entwicklung ins Leere geht, erfordert eine umfassende Prüfung u. a. der Irreversibilität der tatsächlichen Verhältnisse, die auch rechtliche Würdigungen verlangt. Die Offenkundigkeit kann sich daher nur nach einer durch besondere Fachkenntnisse geprägten Betrachtungsweise und nicht nach dem Erkenntnishorizont eines wie auch immer gearteten "Durchschnittsbetrachters" bemessen.


    BVerwG 4 C 2.23 - Urteil vom 24. April 2024 - BVerwG PM 19/2024

    Vorinstanzen:

    OVG Berlin-Brandenburg, OVG 10 B 15.18 - Urteil vom 22. Februar 2023 -

    VG Berlin, VG 13 K 315.15 - Urteil vom 28. Juni 2018 -

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