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    Urteil vom 1. März 2018 - 4 StR 399/17 – der Berliner Fall


    Das Landgericht Berlin hat zwei Angeklagte (unter anderem) wegen mittäterschaftlich begangenen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.


    Nach den Feststellungen der Schwurgerichtskammer des Landgerichts führten die damals 24 und 26 Jahre alten Angeklagten am 1. Februar 2016 gegen 0:30 Uhr in Berlin entlang des Kurfürstendamms und der Tauentzienstraße ein spontanes Autorennen durch. In dessen Verlauf fuhren sie nahezu nebeneinander bei Rotlicht zeigender Ampel und mit Geschwindigkeiten von 139 bis 149 km/h bzw. 160 bis 170 km/h in den Bereich der Kreuzung Tauentzienstraße/Nürnberger Straße ein. Im Kreuzungsbereich kollidierte der auf der rechten Fahrbahn fahrende Angeklagte mit einem Pkw, der bei grünem Ampellicht aus der Nürnberger Straße von rechts kommend in die Kreuzung eingefahren war. Dessen Fahrer erlag noch am Unfallort seinen schweren Verletzungen. Durch die Wucht des Aufpralls wurde das Fahrzeug dieses Angeklagten zudem auf das neben ihm fahrende Fahrzeug des Mitangeklagten geschleudert, in welchem die Nebenklägerin auf dem Beifahrersitz saß. Diese wurde bei dem Unfall erheblich, die Angeklagten wurden leicht verletzt.


    Auf die Revisionen der Angeklagten hat der 4. Strafsenat das Urteil des Landgerichts insgesamt aufgehoben. Die Verurteilung wegen Mordes konnte keinen Bestand haben, weil sie auf einer in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaften Grundlage ergangen ist.


    Der vom Landgericht Berlin festgestellte Geschehensablauf trägt schon nicht die Annahme eines vorsätzlichen Tötungsdelikts. Nach den Urteilsfeststellungen, an die der Senat gebunden ist, hatten die Angeklagten die Möglichkeit eines für einen anderen Verkehrsteilnehmer tödlichen Ausgangs ihres Rennens erst erkannt und billigend in Kauf genommen, als sie in die Unfallkreuzung einfuhren. Genau für diesen Zeitpunkt hat das Landgericht allerdings auch festgestellt, dass die Angeklagten keine Möglichkeit mehr hatten, den Unfall zu verhindern; sie seien "absolut unfähig gewesen, noch zu reagieren". Nach diesen Feststellungen war das zu dem tödlichen Unfall führende Geschehen bereits unumkehrbar in Gang gesetzt, bevor die für die Annahme eines Tötungsvorsatzes erforderliche Vorstellung bei den Angeklagten entstanden war. Ein für den Unfall und den Tod unfallbeteiligter Verkehrsteilnehmer ursächliches Verhalten der Angeklagten, das von einem Tötungsvorsatz getragen war, gab es nach diesen eindeutigen Urteilsfeststellungen nicht.


    Davon abgesehen leidet auch die Beweiswürdigung der Strafkammer zur subjektiven Seite der Tat unter durchgreifenden rechtlichen Mängeln. Diese betreffen die Ausführungen zu der Frage, ob eine etwaige Eigengefährdung der Angeklagten im Falle eines Unfalls gegen das Vorliegen eines Tötungsvorsatzes sprechen könnte. Dies hat das Landgericht mit der Begründung verneint, dass die Angeklagten sich in ihren Fahrzeugen absolut sicher gefühlt und eine Eigengefährdung ausgeblendet hätten. Mit dieser Erwägung ist aber nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen, dass die Angeklagten, wie das Landgericht weiter angenommen hat, bezüglich der tatsächlich verletzten Beifahrerin des einen von ihnen schwere und sogar tödliche Verletzungen als Folge eines Unfalls in Kauf genommen haben. Schon diesen Widerspruch in der Gefährdungseinschätzung der Angeklagten zu Personen, die sich in demselben Fahrzeug befanden, hat die Schwurgerichtskammer nicht aufgelöst. Hinzu kommt, dass sie auch die Annahme, die Angeklagten hätten sich in ihren Fahrzeugen absolut sicher gefühlt, nicht in der erforderlichen Weise belegt hat. Sie hat diese Annahme darauf gestützt, dass mit den Angeklagten vergleichbare Fahrer sich in ihren tonnenschweren, stark beschleunigenden und mit umfassender Sicherheitstechnik ausgestatteten Fahrzeugen regelmäßig sicher fühlten "wie in einem Panzer oder in einer Burg". Einen Erfahrungssatz dieses Inhalts gibt es aber nicht.


    Ein weiterer Rechtsfehler betrifft die Verurteilung des Angeklagten, dessen Fahrzeug nicht mit dem des Unfallopfers kollidiert ist. Seine Verurteilung wegen mittäterschaftlich begangenen Mordes könnte – selbst wenn die Strafkammer die Annahme eines Tötungsvorsatzes bei Begehung der Tathandlungen rechtsfehlerfrei begründet hätte – keinen Bestand haben. Aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich nämlich nicht, dass die Angeklagten ein Tötungsdelikt als Mittäter begangen haben. Dafür wäre erforderlich, dass die Angeklagten einen auf die Tötung eines anderen Menschen gerichteten gemeinsamen Tatentschluss gefasst und diesen gemeinschaftlich (arbeitsteilig) ausgeführt hätten. Die Verabredung, gemeinsam ein illegales Straßenrennen auszutragen, auf die das Landgericht abgestellt hat, hat einen anderen Inhalt und reicht für die Annahme eines mittäterschaftlichen Tötungsdelikts nicht aus.


    Vorinstanz:


    Landgericht Berlin - Urteil vom 27. Februar 2017 – (535 Ks) 251 Js 52/16 (8/16)

    Urteil vom 7. Februar 2018 - VIII ZR 148/17


    Die Klägerin ist ein Energieversorgungsunternehmen, das in Oldenburg die Grundversorgung wahrnimmt und auch die Beklagten im Grundversorgungsverhältnis unter anderem mit Strom belieferte. Bei den Beklagten handelt es sich um ein älteres Ehepaar, in dessen Haushalt im streitgegenständlichen Zeitraum außerdem zeitweise noch ein Enkel lebte.


    Für den etwa einjährigen Abrechnungszeitraum 2014/2015 berechnete die Klägerin den Beklagten 9.073,40 € aufgrund eines abgelesenen Verbrauchs in Höhe von 31.814 kWh. Die Beklagten bestreiten, dass sie die ihnen in Rechnung gestellte Strommenge, die etwa zehnmal höher ist als ihr Verbrauch im Vorjahreszeitraum und auch der übliche Verbrauch von Haushalten vergleichbaren Zuschnittes, tatsächlich verbraucht haben. Den Stromzähler an der Abnahmestelle hat die Klägerin noch im Juli 2015 ausbauen lassen und entsorgt, nachdem eine Prüfung durch eine staatlich anerkannte Prüfstelle ausweislich des darüber ausgestellten Prüfprotokolls keine Mängel ergeben hatte.


    Das Landgericht hat die Beklagten zur Zahlung der von der Klägerin in ihrer Rechnung ausgewiesenen Vergütung verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Die ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StromGVV könne sich auch aus einer enormen und nicht plausibel erklärbaren Abweichung der Verbrauchswerte von denen vorangegangener oder nachfolgender Abrechnungsperioden ergeben. Dafür, dass die Beklagten die vorliegend abgerechnete exorbitante Strommenge tatsächlich selbst verbraucht haben könnten, seien nach ihrem (eher bescheidenen) Lebenszuschnitt und der Auflistung der in ihrem Haushalt vorhandenen Stromabnehmer keine Anhaltspunkte zu erkennen. Wie es zu der Anzeige des außergewöhnlich hohen Verbrauchs gekommen sei, bleibe rätselhaft.


    Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter.


    Die Entscheidung des Senats:


    Der Senat hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts bestätigt und die Revision des Energieversorgungsunternehmens zurückgewiesen. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass hier die "ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers" im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StromGVV bestehe, ist angesichts der von ihm festgestellten Umstände aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, sondern vielmehr nahe liegend. Insbesondere hat das Berufungsgericht – entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht fehlerhaft einen unzutreffenden, zu Gunsten des Kunden zu großzügigen Maßstab angelegt.


    Die Bestimmung des § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StromGVV beruht zwar – ebenso wie die von ihr abgelöste Vorgängerregelung des § 30 Nr. 1 AVBEltV – auf der Erwägung des Verordnungsgebers, dass die grundsätzlich zur Vorleistung verpflichteten Grundversorger nicht unvertretbare Verzögerungen bei der Realisierung ihrer Preisforderungen hinnehmen müssen, die sich daraus ergeben, dass Kunden Einwände geltend machen, die sich letztlich als unberechtigt erweisen. Um Liquiditätsengpässe und daraus folgende Versorgungseinschränkungen zu vermeiden, wollte der Verordnungsgeber es den Versorgungsunternehmen ermöglichen, die Vielzahl ihrer häufig kleinen Forderungen mit einer vorläufig bindenden Wirkung festzusetzen und im Prozess ohne eine abschließende Beweisaufnahme über deren materielle Berechtigung durchzusetzen.


    Der Kunde wird deshalb nach § 17 StromGVV im Regelfall mit seinen Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abrechnung (insbesondere Mess- und Ablesefehler) im Zahlungsprozess des Versorgers ausgeschlossen. Dadurch wird der Kunde aber nicht rechtlos gestellt. Denn die Darlegungs- und Beweislast des Versorgers für die Richtigkeit der Abrechnung ändert diese Regelung nicht. Vielmehr wird die Beweisaufnahme in den Fällen, in denen der Kunde nach § 17 StromGVV mit seinen Einwendungen ausgeschlossen ist, lediglich auf den Rückforderungsprozess des Kunden verlagert.


    Sofern der Kunde allerdings (wie hier die Beklagten angesichts des abgelesenen angeblichen enormen Verbrauchs) bereits die "ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers" aufzeigen kann, ist er mit seinem Einwand nicht auf einen späteren Rückforderungsprozess verwiesen. Vielmehr ist sein Einwand, die berechnete Strommenge nicht bezogen zu haben, schon im Rahmen der Zahlungsklage des Versorgers zu prüfen. Das Energieversorgungsunternehmen muss dann nach allgemeinen Grundsätzen die Voraussetzungen seines Anspruchs, also auch den tatsächlichen Bezug der in Rechnung gestellten Energiemenge beweisen. Insoweit hatte die Klägerin in den Tatsacheninstanzen jedoch keinen tauglichen Beweis angetreten und den streitigen Zähler zudem entsorgt.

    Urteil vom 7. Februar 2018 - VIII ZR 189/17


    Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit grundsätzlichen Fragen zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast und zu den Verpflichtungen des Vermieters auf Gewährung einer Belegeinsicht im Zusammenhang mit der jährlichen Betriebskostenabrechnung bei Wohnraummietverhältnissen (§ 556 BGB) beschäftigt.


    Sachverhalt und Prozessverlauf:


    Die Beklagten waren Mieter einer 94 qm großen Dreizimmerwohnung in einem Mehrfamilienhaus der Klägerin in Heppenheim. Die gesamte Wohnfläche des Hauses beläuft sich, soweit sie an den für die Wohnung der Beklagten maßgeblichen Heizkreis angeschlossen ist, auf knapp 720 qm. Der zwischen den Parteien geschlossene Mietvertrag sah eine monatliche Vorauszahlung auf die Betriebskosten in Höhe von 200 € vor.


    Für die Jahre 2013 und 2014 verlangt die Klägerin von den Beklagten eine Nachzahlung auf die in den Betriebskosten enthaltenen Heizkosten in Höhe von mehr als 5.000 €. Die betreffenden Jahresabrechnungen weisen für die Mietwohnung der Beklagten Verbrauchswerte aus, die 42 beziehungsweise 47 Prozent der jeweils im Heizkreis insgesamt gemessenen Verbrauchseinheiten ausmachen. Die Beklagten beanstanden diese Abrechnungswerte als nicht plausibel und bestreiten, diese in ihrer Höhe auffällig von der Wohnflächenverteilung abweichende Wärmemenge tatsächlich verbraucht zu haben. Ihrer Forderung, ihnen zur Überprüfung die Ablesebelege zu den Verbrauchseinheiten der übrigen Wohnungen vorzulegen, kam die Klägerin nicht nach.


    Die auf eine entsprechende Betriebskostennachzahlung gerichtete Klage der Klägerin hat in beiden Vorinstanzen Erfolg gehabt. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ändere auch eine außergewöhnliche Höhe der Heizkosten nichts daran, dass die Beklagten als Mieter konkret dazulegen hätten, weshalb die ihnen in Rechnung gestellten Heizkosten (2013: 3.492 €; 2014 3.857 €) der Höhe nach nicht berechtigt seien. Auch sei nicht nachvollziehbar, welche Vorteile die Beklagten für sich aus der Einsichtnahme in die Belege der anderen im Haus befindlichen Mietwohnungen herleiten wollten. Mit ihrer vom Landgericht zugelassenen Revision wollten die Beklagten die Abweisung der Klage erreichen.


    Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:


    Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat seine Entscheidung genutzt, einige - vom Berufungsgericht vorliegend verkannte - Grundsätze zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast und zu den Verpflichtungen des Vermieters auf Gewährung einer Belegeinsicht im Zusammenhang mit der jährlichen Betriebskostenabrechnung zu vertiefen.


    Bei einer Nachforderung von Betriebskosten, die der Mieter aufgrund entsprechender Vereinbarung zu tragen hat (§ 556 Abs. 1 Satz 1 BGB), liegt die Darlegungs- und Beweislast für die erhobene Forderung, also für die richtige Erfassung, Zusammenstellung und Verteilung der angefallenen Betriebskosten auf die einzelnen Mieter, beim Vermieter. Insofern war es bereits im Ausgangspunkt verfehlt, dass das Berufungsgericht den Beklagten als Mietern die Verpflichtung auferlegt hat, "objektiv nachvollziehbare Anhaltspunkte" (wie etwa bestehende Leitungsverluste) vorzutragen, aus denen sich eine Unrichtigkeit der ihnen in Rechnung gestellten Verbrauchswerte ergibt. Es hätte sich jedenfalls im Grundsatz bei sachgerechter Beurteilung der Beweislastverteilung vielmehr von der Zuverlässigkeit und Korrektheit der von der Klägerin als Vermieterin vorgenommenen Verbrauchserfassung, Zusammenstellung und Verteilung überzeugen sowie den dazu von der Klägerin angetretenen Zeugen- und Sachverständigenbeweis erheben müssen.


    Im Streitfall kam als Besonderheit hinzu, dass die Beklagten weiterhin den Einwand erhoben hatten, die Klägerin hätte ihnen jedenfalls die Ablesebelege zu den Verbrauchseinheiten der anderen Wohnungen vorlegen müssen. Diesen Einwand hat das Berufungsgericht zu Unrecht für unerheblich und deshalb zur Rechtfertigung des auch hierauf gestützten Klageabweisungsbegehrens der Beklagten für nicht durchgreifend erachtet. Denn eine vom Vermieter gemäß § 556 Abs. 3 Satz 1 BGB vorzunehmende Abrechnung muss eine aus sich heraus verständliche geordnete Zusammenstellung der zu den umzulegenden Betriebskosten im Abrechnungsjahr getätigten Einnahmen und Ausgaben enthalten, um es dem Mieter zu ermöglichen, die zur Verteilung anstehenden Kostenpositionen zu erkennen und den auf ihn entfallenden Anteil an diesen Kosten gedanklich und rechnerisch nachzuprüfen.


    Dabei gehört es auch noch zu einer vom Vermieter vorzunehmenden ordnungsgemäßen Abrechnung, dass er im Anschluss dem Mieter auf dessen Verlangen zusätzlich die Einsichtnahme in die Abrechnungsunterlagen ermöglicht, soweit dies etwa zur sachgerechten Überprüfung der Nebenkostenabrechnung oder zur Vorbereitung etwaiger Einwendungen erforderlich ist. In diesem Zusammenhang kann der Mieter auch die Einsichtnahme in die vom Vermieter erhobenen Einzelverbrauchsdaten anderer Nutzer eines gemeinsam versorgten Mietobjekts hinsichtlich der Heizkosten beanspruchen, um sich etwa Klarheit zu verschaffen, ob bei einer - wie im Streitfall - verbrauchsabhängigen Abrechnung der Gesamtverbrauchswert mit der Summe der Verbrauchsdaten der anderen Wohnungen übereinstimmt, ob deren Werte plausibel sind oder ob sonst Bedenken gegen die Richtigkeit der Kostenverteilung bestehen.


    Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts muss der Mieter insoweit auch kein "besonderes Interesse" an der Belegeinsicht in die Verbrauchswerte der anderen Mietwohnungen darlegen; es genügt hierfür vielmehr bereits sein allgemeines Interesse, die Tätigkeit des abrechnungspflichtigen Vermieters zu kontrollieren. Solange der Vermieter unberechtigt eine entsprechend begehrte Belegeinsicht verweigert, besteht deshalb auch keine Verpflichtung des Mieters, die geforderte Nachzahlung zu leisten. Der Senat hat daher das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Klage als (derzeit) unbegründet abgewiesen.

    Urteil vom 31. Januar 2018 - VIII ZR 39/17


    Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit der Frage beschäftigt, ob einem Jobcenter, welches im Rahmen von Sozialleistungen Mietzahlungen versehentlich auch noch nach der Beendigung des Mietverhältnisses unmittelbar an den bisherigen Vermieter überweist, ein Rückforderungsanspruch unmittelbar gegen den Vermieter zusteht oder ob ein solcher Anspruch gegen den Mieter als Empfänger der Sozialleistung zu richten ist.


    Sachverhalt und Prozessverlauf:


    Die Beklagten waren Vermieter eines Einfamilienhauses, dessen Mieter Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem SGB II vom Kläger als dem für sie zuständigen Jobcenter bezogen. Die Mietzahlungen erfolgten auf Antrag der Mieter direkt durch den Kläger an die Beklagten. Das Mietverhältnis endete zum 31. Juli 2014.


    Bereits am 24. Juli hatten die Mieter bei dem Kläger einen Mietvertrag über eine neue Wohnung eingereicht. Dennoch überwies dieser am nächsten Tag versehentlich noch die Miete für August 2014 (860 €) an die Beklagten. Seiner späteren Aufforderung, den entsprechenden Betrag an ihn zurückzuzahlen, kamen die Beklagten jedoch nicht nach. Ihrer Auffassung nach handele es sich insoweit um eine Zahlung ihrer Mieter an sie, die sie wegen noch offener Gegenforderungen aus dem Mietverhältnis zurückbehielten.


    Die auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 860 Euro nebst Zinsen gerichtete Klage hat das Amtsgericht abgewiesen. Trotz der Direktüberweisung der Miete vom Kläger an die Beklagten habe die Rückabwicklung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB innerhalb der bestehenden Leistungsbeziehungen, mithin einerseits zwischen den früheren Mietvertragsparteien und andererseits zwischen Mieter und Jobcenter, zu erfolgen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit ihrer vom Landgericht zugelassenen Revision wollten die Beklagten die Abweisung der Zahlungsklage erreichen.


    Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:


    Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision zurückgewiesen und entschieden, dass ein Jobcenter, welches im Rahmen von Sozialleistungen Mietzahlungen gemäß § 22 Abs. 7 SGB II unmittelbar an einen Vermieter überweist, im Fall versehentlich über das Ende des Mietverhältnisses hinaus gezahlter Mieten einen diesbezüglichen Rückforderungsanspruch unmittelbar gegenüber dem Vermieter geltend machen kann, wenn letzterer bereits bei Erhalt der Zahlung wusste, dass ihm dieser Betrag wegen der Beendigung des Mietvertrags nicht zusteht.


    Zwar haben die Beklagten bei objektiver Betrachtung die hier streitgegenständliche Zahlung von 860 € nicht durch eine Leistung des klagenden Jobcenters, sondern vielmehr durch eine Leistung ihrer (ehemaligen) Mieter enthalten, denen gegenüber der Kläger wiederum in seiner Eigenschaft als Sozialleistungsträger im Rahmen des bestehenden Bedarfs für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II Sozialleistungen zu erbringen hatte. Insoweit hatten die Mieter mit ihrem Antrag nach § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II dem Kläger lediglich die Anweisung erteilt, die ihnen zustehenden Unterstützungsleistungen direkt an die Beklagten zu zahlen.


    Dennoch erfolgt die Rückabwicklung der für August 2014 zu Unrecht gezahlten 860 € vorliegend ausnahmsweise nicht im Rahmen der insoweit bestehenden Leistungsbeziehungen gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB (also zwischen den beklagten Vermietern und den Mietern einerseits und den Mietern und dem klagendem Jobcenter andererseits), sondern steht dem Kläger ein direkter Rückzahlungsanspruch gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB (Nichtleistungskondiktion) gegen die Beklagten zu. Denn die Mieter hatten ihren Antrag nach § 22 Abs. 7 Satz SGB II bereits vor Ausführung der streitgegenständlichen Zahlung gegenüber dem Kläger (konkludent durch Vorlage des neuen Mietvertrags) widerrufen. Vor allem aber wussten die Beklagten nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts aufgrund der Beendigung des Mietverhältnisses bereits bei Erhalt des Geldes, dass ihnen der für den Monat August 2014 überwiesene Betrag von 860 € nicht zustand und es damit an einer Leistung der Mieter als ihrem (ehemaligen) Vertragspartner fehlte. Diesen Betrag haben die Beklagten vielmehr in sonstiger Weise auf Kosten des Klägers ohne rechtlichen Grund erlangt (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB).

    Urteil vom 31. Januar 2018 - VIII ZR 105/17


    Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit der Frage beschäftigt, unter welchen Voraussetzungen die lediglich "gefährdet erscheinende" wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines nach dem Tod des ursprünglichen Mieters in ein unbefristetes Mietverhältnis eingetretenen Mieters den Vermieter zur außerordentlichen Kündigung gemäß § 563 Abs. 4 BGB berechtigt.


    Sachverhalt und Prozessverlauf:


    Die verstorbene Lebensgefährtin des Klägers war Mieterin einer Dreizimmerwohnung des Beklagten, die sie gemeinsam mit dem Kläger, bewohnte. Die monatliche Nettomiete belief sich auf 545 €; hinzu kamen Nebenkostenvorauszahlungen von etwa 170 € monatlich. Nach dem Tod der Mieterin teilte der sich in einem Ausbildungsverhältnis befindliche Kläger mit, er sei in seiner Eigenschaft als Lebensgefährte der Verstorbenen in das Mietverhältnis eingetreten. Daraufhin kündigte der Beklagte das Mietverhältnis gemäß § 563 Abs. 4 BGB unter Berufung auf einen in der Person des Klägers liegenden wichtigen Grund. Zur Begründung führte er unter anderem aus, aus dem vom Kläger bezogenen Ausbildungsgehalt sei die monatlich zu entrichtende Miete nebst Nebenkostenvorauszahlung auf Dauer nicht zu leisten.


    Der Kläger widersprach der Kündigung und erklärte, er sei ohne weiteres in der Lage, die Miete und Nebenkostenvorauszahlungen entrichten zu können. Außerdem verlangte er die Zustimmung des Beklagten zu einer Untervermietung eines Teils der Wohnung553 Abs. 1 BGB) an einen Arbeitskollegen, der sich (ebenfalls) im zweiten Ausbildungsjahr befinde und ein Gehalt in gleicher Höhe beziehe. Die geplante Untervermietung hätte – so der Kläger - zugleich den Vorteil, dass sich sein Arbeitskollege an der Miete und den Nebenkosten sowie an Fahrtkosten zur Arbeitsstelle beteiligen würde. Der Beklagte verweigerte die begehrte Zustimmung und widersprach der Fortsetzung des Mietverhältnisses.


    Das Amtsgericht hat seine Klage auf Zustimmung zur Untervermietung abgewiesen und der auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gerichteten Widerklage des Beklagten stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg, weil die "gefährdet erscheinende" finanzielle Leistungsfähigkeit des Klägers den Beklagten nach Auffassung des Landgerichts zur außerordentlichen Kündigung nach § 563 Abs. 4 BGB berechtigt habe. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgte der Kläger sein Klagebegehren weiter und begehrte daneben die Abweisung der auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gerichteten Widerklage.


    Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:


    Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass - entgegen einer verbreiteten Auffassung – eine drohende finanzielle Leistungsunfähigkeit beziehungsweise eine "gefährdet erscheinende" Leistungsfähigkeit eines nach dem Tod des ursprünglichen Mieters eingetretenen (neuen) Mieters nur in besonderen Ausnahmefällen als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 563 Abs. 4 BGB in Betracht kommt.


    Tritt nach dem Tod des ursprünglichen Mieters eine der in § 563 Abs. 1 oder 2 BGB bezeichneten Personen in ein Mietverhältnis ein, kann der Vermieter dieses innerhalb eines Monats außerordentlich mit der gesetzlichen Frist kündigen, wenn in der Person des Eingetretenen ein wichtiger Grund vorliegt (§ 563 Abs. 4 BGB). Dieser Grund muss so beschaffen sein, dass er dem Vermieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses unzumutbar macht, was bei einer objektiv feststehenden Unfähigkeit des (neuen) Mieters zur vollständigen oder pünktlichen Leistung der Miete der Fall sein kann. Denn anders als bei der ursprünglichen Begründung des Mietverhältnisses überlässt das Gesetz im Fall des § 563 BGB nicht dem Vermieter die Auswahl des (neuen) Mieters. Aus diesem Grund kann es für einen Vermieter - abhängig von den jeweiligen vom Vermieter darzulegenden Umständen des Einzelfalls - unzumutbar sein, erst den Eintritt des Zahlungsverzugs mit den Kündigungsmöglichkeiten der § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB abwarten zu müssen, um dem eingetretenen Mieter hieraufhin kündigen zu können.


    Eine zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung lediglich drohende finanzielle Leistungsunfähigkeit beziehungsweise "gefährdet erscheinende" Leistungsfähigkeit des Mieters kann allerdings nur in besonderen Ausnahmefällen eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Vermieter zu begründen. Ob eine drohende wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit oder "gefährdet erscheinende finanzielle Leistungsfähigkeit" vorliegt, ist - anders als bei feststehender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit – aufgrund einer Prognose zu beurteilen, die naturgemäß mit Unwägbarkeiten behaftet ist. Bei Fehleinschätzungen läuft der in das Mietverhältnis eingetretene (neue) Mieter aber Gefahr, sein von der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie geschütztes Besitzrecht selbst dann zu verlieren, wenn sich nachträglich herausstellen sollte, dass die Bedenken gegen seine Leistungsfähigkeit unberechtigt gewesen sind. Deshalb muss die auf eine bloß drohende finanzielle Leistungsunfähigkeit oder "gefährdet erscheinende" Leistungsfähigkeit des eingetretenen Mieters gestützte Unzumutbarkeit stets auf konkreten Anhaltspunkten und objektiven Umständen beruhen, die nicht bloß die Erwartung rechtfertigen, sondern vielmehr den zuverlässigen Schluss zulassen, dass fällige Mietzahlungen alsbald ausbleiben werden. Solche Anhaltspunkte fehlen dann, wenn Geldquellen vorhanden sind, die die Erbringung der Mietzahlungen sicherstellen, wie dies etwa bei staatlichen Hilfen oder sonstigen Einkünften (z.B. Untermietzahlungen; Unterstützung Verwandter; Nebentätigkeitsvergütungen) oder vorhandenem Vermögen der Fall ist.


    Vorliegend hat das Berufungsgericht allein den Umstand, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Kündigung eine Ausbildungsvergütung bezog, für eine "gefährdet erscheinende" finanzielle Leistungsfähigkeit ausreichen lassen, weil weder ein erfolgreicher Abschluss der Ausbildung noch eine abschließende Festanstellung absehbar seien und damit die Erbringung der Miete nicht dauerhaft gesichert sei. Mit dieser Sichtweise stellt es jedoch überhöhte Anforderungen an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines nach § 563 Abs. 1 oder 2 BGB in ein unbefristetes Mietverhältnis eingetretenen Mieters. Denn auch ein Vermieter, der mit einem von ihm selbst ausgewählten solventen Mieter einen unbefristeten Mietvertrag abschließt, kann bei Vertragsschluss regelmäßig nicht ausschließen, dass dessen finanzielle Leistungsfähigkeit durch zukünftige Entwicklungen (etwa durch Verlust des Arbeitsplatzes) herabgesetzt werden könnte.


    Auch im Übrigen beruht die Annahme des Berufungsgerichts, die finanzielle Leistungsfähigkeit des Klägers sei nicht gesichert, auf reinen Mutmaßungen und nicht auf objektiven und belastbaren Anhaltspunkten. Vielmehr hat es wesentlichen Vortrag des Klägers zu seinen finanziellen Verhältnissen (Restvermögen, Anspruch auf Sozialleistungen) sowie den Umstand unberücksichtigt gelassen, dass der Kläger während der bis dahin knapp zwei Jahre andauernden Nutzung der Wohnung die geschuldete Miete stets vollständig und pünktlich entrichtet hatte. Ebenfalls rechtfehlerhaft hat es überdies nicht in Betracht gezogen, dass der Kläger einen Teil der Mietwohnung einem Untermieter überlassen und hierdurch zusätzliche Einkünfte beziehen könnte. Denn die vom Kläger angeführten Gründe für sein Untervermietungsbegehren (Überlassung an Arbeitskollegen, damit dieser sich an Miet- und Fahrtkosten beteiligt) sind jedenfalls nach seinem im Revisionsverfahren zugrunde zu legenden Vortrag als berechtigtes Interesse im Sinne von § 553 Abs. 1 BGB anzuerkennen. Nach alledem hat der Senat das Berufungsurteil aufgehoben und das Verfahren an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.

    Urteil vom 6. Februar 2018 – VI ZR 76/17


    Sachverhalt:


    Der Kläger ist ehemaliger Bundespräsident, die Beklagte ein Zeitschriftenverlag. Am 6. Mai 2015 bestätigte der Kläger in einer Pressemitteilung, dass er und seine Frau wieder zusammen lebten. Am 13. Mai 2015 veröffentlichte die Beklagte in der Illustrierten "People" unter der Überschrift "Liebes-Comeback" einen Artikel über den Kläger und seine Ehefrau und bebilderte diesen Artikel u.a. mit einem Foto, das den Kläger und seine Ehefrau am Auto zeigte. Am 20. Mai 2015 veröffentlichte die Beklagte in der Zeitschrift "Neue Post" unter der Überschrift "Nach der Versöhnung - Christian Wulff - Wer Bettina liebt, der schiebt!" einen weiteren Artikel über den Kläger und seine Ehefrau, wobei sie den Artikel u.a. mit einem Foto des Klägers mit einem gefüllten Einkaufswagen bebilderte.


    Bisheriger Prozessverlauf:


    Das Landgericht hat der auf Unterlassung der Bildberichterstattung gerichteten Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts verletzte die Veröffentlichung der Bilder den Kläger in seiner Privatsphäre. Mit der vom VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zugelassenen Revision verfolgte die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.


    Entscheidung des Bundesgerichtshofs:


    Der unter anderem für Ansprüche aus dem Recht am eigenen Bild zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Vorentscheidungen aufgehoben und die Klage abgewiesen.


    Die veröffentlichten Fotos waren dem Bereich der Zeitgeschichte (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG) zuzuordnen und durften deshalb von der Beklagten auch ohne Einwilligung des Klägers (§ 22 KunstUrhG) verbreitet werden, da berechtigte Interessen des Abgebildeten damit nicht verletzt wurden. Die Vorinstanzen hatten die in besonderer Weise herausgehobene Stellung des Klägers als ehemaliges Staatsoberhaupt, den Kontext der beanstandeten Bildberichterstattung sowie das Ausmaß der vom Kläger in der Vergangenheit praktizierten Selbstöffnung nicht hinreichend berücksichtigt und deshalb rechtsfehlerhaft dem Persönlichkeitsrecht des Klägers den Vorrang vor der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Pressefreiheit der Beklagten eingeräumt.


    Die herausgehobene politische Bedeutung des Klägers als Inhaber des höchsten Staatsamtes und das berechtigte öffentliche Interesse an seiner Person endeten nicht mit seinem Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten; die besondere Bedeutung des Amtes wirkt vielmehr nach. Auch nach seinem Rücktritt erfüllt der Kläger, der als "Altbundespräsident" weiterhin zahlreichen politischen und gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommt, Leitbild- und Kontrastfunktion auch in der Normalität seines Alltagslebens. Im Zusammenhang mit der - nicht angegriffenen - Textberichterstattung leisteten die Veröffentlichungen einen Beitrag zu einer Diskussion allgemeinen Interesses. Sie nehmen Bezug auf die vom Kläger selbst erst einige Tage zuvor durch Pressemitteilung bestätigte Versöhnung mit seiner Frau. Gegenstand der Berichterstattung ist darüber hinaus die eheliche Rollenverteilung. Die Fotos bebildern dies und dienen zugleich als Beleg. Ferner war zu berücksichtigen, dass der Kläger sein Ehe- und Familienleben in der Vergangenheit immer wieder öffentlich thematisiert und sich dadurch mit einer öffentlichen Erörterung dieses Themas einverstanden gezeigt hat. Zudem betreffen die zur Einkaufszeit auf dem Parkplatz eines Supermarktes und damit im öffentlichen Raum aufgenommenen Fotos den Kläger lediglich in seiner Sozialsphäre.


    Den entgegenstehenden berechtigten Interessen des Klägers kommt demgegenüber kein überwiegendes Gewicht zu (§ 23 Abs. 2 KunstUrhG). Die Fotos weisen keinen eigenständigen Verletzungsgehalt auf, sondern zeigen den Kläger in einer unverfänglichen Alltagssituation und in der Rolle eines fürsorgenden Familienvaters.

    Bei einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot nach §§ 74 ff. HGB handelt es sich um einen gegenseitigen Vertrag iSd. §§ 320 ff. BGB. Die Karenzentschädigung ist Gegenleistung für die Unterlassung von Konkurrenztätigkeit. Erbringt eine Vertragspartei ihre Leistung nicht, kann die andere Vertragspartei vom Wettbewerbsverbot zurücktreten, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (§§ 323 ff. BGB). Ein solcher Rücktritt entfaltet Rechtswirkungen erst für die Zeit nach dem Zugang der Erklärung (ex nunc).

    Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1. Februar 2014 als "Beauftragter technische Leitung" zu einem Bruttomonatsverdienst von zuletzt 6.747,20 Euro beschäftigt. Im Arbeitsvertrag der Parteien war für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein dreimonatiges Wettbewerbsverbot vereinbart worden. Hierfür sollte der Kläger eine Karenzentschädigung iHv. 50 % der monatlich zuletzt bezogenen durchschnittlichen Bezüge erhalten. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund der Eigenkündigung des Klägers zum 31. Januar 2016. Mit E-Mail vom 1. März 2016 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 4. März 2016 vergeblich zur Zahlung der Karenzentschädigung für den Monat Februar 2016 auf. Am 8. März 2016 übermittelte der Kläger an die Beklagte eine weitere E-Mail. Hierin heißt es ua.:


    "Bezugnehmend auf Ihre E-Mail vom 1. März 2016 sowie das Telefonat mit Herrn B. möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich mich ab sofort nicht mehr an das Wettbewerbsverbot gebunden fühle."


    Mit seiner Klage macht der Kläger die Zahlung einer Karenzentschädigung iHv. 10.120,80 Euro brutto nebst Zinsen für drei Monate geltend. Er vertritt die Auffassung, sich nicht einseitig vom Wettbewerbsverbot losgesagt zu haben. Die Erklärung in der E-Mail vom 8. März 2016 sei lediglich eine Trotzreaktion gewesen. Die Beklagte meint, durch die E-Mail vom 8. März 2016 habe der Kläger wirksam seinen Rücktritt erklärt. Das Arbeitsgericht hat der Klage vollständig stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil teilweise abgeändert und einen Anspruch auf Karenzentschädigung nur für die Zeit vom 1. Februar bis zum 8. März 2016 zugesprochen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.


    Die Revision des Klägers hatte vor dem Zehnten Senat keinen Erfolg. Da es sich beim nachvertraglichen Wettbewerbsverbot um einen gegenseitigen Vertrag handelt, finden die allgemeinen Bestimmungen über den Rücktritt (§§ 323 ff. BGB) Anwendung. Die Karenzentschädigung ist Gegenleistung für die Unterlassung von Konkurrenztätigkeit. Erbringt eine Vertragspartei ihre Leistung nicht, kann die andere Vertragspartei vom Wettbewerbsverbot zurücktreten, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Ein Rücktritt wirkt dabei ex nunc, dh. für die Zeit nach dem Zugang der Erklärung entfallen die wechselseitigen Pflichten. Die Beklagte hat die vereinbarte Karenzentschädigung nicht gezahlt, der Kläger war deshalb zum Rücktritt berechtigt. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe mit seiner E-Mail vom 8. März 2016 wirksam den Rücktritt vom Wettbewerbsverbot erklärt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Damit steht ihm für die Zeit ab dem 9. März 2016 keine Karenzentschädigung zu.


    Bundesarbeitsgericht

    Urteil vom 31. Januar 2018 - 10 AZR 392/17 -

    Tenor


    1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 22. November 2016 - 15 Sa 76/15 - aufgehoben.
    2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.


    Tatbestand


    Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Beschäftigung in der Nachtschicht.


    Der 1967 geborene, verheiratete und vier Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist bei der Beklagten, einem Unternehmen mit etwa 500 Arbeitnehmern, seit dem 15. Juli 1991 beschäftigt, zuletzt als Maschinenbediener. Sein durchschnittliches Monatsgehalt betrug vor der zwischen den Parteien streitigen Umsetzung in die Wechselschicht ca. 4.100,00 Euro brutto. Der Arbeitsvertrag vom 12. Juli 1991 enthält ua. folgende Bestimmung:


    „1. Tätigkeit

    Der Mitarbeiter wird als Schlosser-Helfer innerhalb der Abteilung Karosseriebau mit Wirkung vom 15.07.91 in Normalschicht beschäftigt.

    Die Firma ist berechtigt, dem/der Mitarbeiter/in auch andere, seinen/ihren Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechende Aufgaben zu übertragen oder ihn/sie an einen anderen zumutbaren Arbeitsplatz oder Tätigkeitsort zu versetzen.

    Der/Die Mitarbeiter/in ist grundsätzlich bereit, auch Schichtarbeit zu leisten.“


    Die Tätigkeit, die der Kläger ausübt, wird bei der Beklagten zum einen im wöchentlichen Wechsel zwischen Frühschicht (05:00 Uhr bis 13:00 Uhr) und Spätschicht (13:00 Uhr bis 21:00 Uhr) geleistet, zum anderen in (Dauer-)Nachtschicht (21:00 Uhr bis 05:00 Uhr). In der Wechselschicht sind 17 Arbeitnehmer beschäftigt, in der Nachtschicht sechs Arbeitnehmer. Der Kläger leistete seit dem Jahr 1994 zunächst Wechselschicht, seit dem Jahr 2005 war er in Nachtschicht tätig. Im Zeitraum vom 22. September 2014 bis zum 31. Oktober 2014 war er nach einem Streit mit einem anderen in der Nachtschicht eingesetzten Kollegen zeitweise in Wechselschicht eingesetzt.


    In den Jahren 2013 und 2014 war der Kläger jeweils an 35 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt, im Jahr 2015 bis zum 17. April 2015 an 39 Arbeitstagen. In der Zeit vom 2. Dezember 2014 bis zum 26. Februar 2015 war er aufgrund einer Therapiemaßnahme, mit der einer Suchterkrankung begegnet werden sollte, arbeitsunfähig. Ab dem 10. März 2015 wurde er zunächst wieder in der Nachtschicht eingesetzt. Am 25. März 2015 fand unter Beteiligung des Geschäftsführers der Beklagten, ihres Personalleiters, zweier weiterer Mitarbeiter und eines Betriebsratsmitglieds ein sog. Krankenrückkehrgespräch mit dem Kläger statt. Dieses erfüllte nicht die Voraussetzungen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements iSv. § 84 Abs. 2 SGB IX (BEM).


    Noch am selben Tag ordnete die Beklagte an, dass der Kläger seine Arbeit ab dem 7. April 2015 in Wechselschicht erbringen solle. Dem bei ihr bestehenden Betriebsrat teilte sie dies auf einem Formular „Umsetzungsbenachrichtigung von Mitarbeitern an den Betriebsrat“ mit Datum vom 7. April 2015 mit. Als Begründung gab sie an, aufgrund hoher Krankheitszeiten sei der Kläger in der Wechselschicht leichter ersetzbar als in der Nachtschicht.


    Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Versetzung von der Nachtschicht in die Wechselschicht sei unwirksam, er habe einen Anspruch darauf, in der Nachtschicht beschäftigt zu werden. Die Entscheidung sei unbillig, da die Beklagte nicht berücksichtigt habe, dass er sich körperlich auf die Nachtschicht eingestellt habe. Die Wechselschicht sei gesundheitlich viel belastender für ihn. Seine Erkrankungen stünden nicht im Zusammenhang mit der Nachtschicht, die Ende 2014 aufgetretenen Fehlzeiten seien durch eine ärztlicherseits angeordnete Suchttherapiemaßnahme verursacht worden. Die Beklagte könne sich zur Begründung ihrer Maßnahme ohnehin nicht auf gesundheitliche Aspekte berufen, da sie es unterlassen habe, ein BEM durchzuführen. Aufgrund der Therapiemaßnahmen habe sich sein Gesundheitszustand außerdem so verbessert, dass im Jahr 2016 nur zwölf Krankheitstage angefallen seien. Im Übrigen habe die Umsetzung zur Folge, dass er nicht mehr wöchentlich an einer nachstationären, ambulanten Entwöhnungsmaßnahme teilnehmen könne. Die Arbeit in der Wechselschicht führe zudem aufgrund des Wegfalls von Zuschlägen für die Nachtarbeit zu finanziellen Nachteilen iHv. etwa 1.000,00 Euro brutto monatlich. Da es sich um eine Versetzung gehandelt habe, habe der Betriebsrat gem. § 99 Abs. 1 BetrVG zustimmen müssen. Eine ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats habe jedoch nicht stattgefunden.


    Der Kläger hat zuletzt beantragt,


    die Beklagte zu verurteilen, ihn als Maschinenbediener in der Nachtschicht, arbeitstäglich von 21:00 Uhr bis 05:00 Uhr, zu beschäftigen,


    hilfsweise


    festzustellen, dass die durch die Beklagte vorgenommene Umsetzung des Klägers von der Nachtschicht in die Wechselschicht Früh-/Spätschicht bzw. Tagschicht durch Anordnung vom 25. März 2015 und mit Wirkung zum 7. April 2015 rechtswidrig und somit rechtsunwirksam ist.


    Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, die Umsetzung des Klägers sei von ihrem Direktionsrecht gedeckt. Grund der Weisung sei die Annahme gewesen, dass die dauerhafte Nachtarbeit möglicherweise der Gesundheit des Klägers nicht zuträglich gewesen sein könnte. Es habe festgestellt werden sollen, ob die Wechselschichtarbeit für den Kläger besser sei. Dies entspreche den Angaben des Betriebsarztes, wonach bei Fehlzeiten, wie denjenigen des Klägers, zu prüfen sei, ob diese mit der Nachtarbeit in Zusammenhang stünden. Eine Dauernachtschicht sei generell gesundheitlich belastender als jede andere Arbeitszeit. Ein BEM habe sie nicht durchgeführt, da sie keine Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Erwägung gezogen habe. Für sie sei es darüber hinaus schwerer, einen häufig fehlenden Mitarbeiter in der Nachtschicht zu ersetzen, da der Pool der heranzuziehenden Mitarbeiter geringer sei als in der Wechselschicht. Mitarbeiter aus der Wechselschicht könnten wegen der einzuhaltenden Ruhezeiten nicht eingesetzt werden. Bei abteilungsfremden Mitarbeitern bestünden Einarbeitungsschwierigkeiten. Deshalb springe der Schichtführer selbst ein, könne dann aber seine eigentlichen Aufgaben, beispielsweise als Einsteller, nicht wahrnehmen, was zu erheblichen Betriebsablaufstörungen führe. Die finanziellen Interessen des Klägers seien berücksichtigt worden, er erhalte auch in der Wechselschicht Zeitzuschläge. In der Frühschicht falle in der Stunde zwischen 05:00 Uhr und 06:00 Uhr ein Nachtarbeitszuschlag von 30 vH an, in der Spätschicht ein Spätarbeitszuschlag von 20 vH, weil die Arbeit nach 12:00 Uhr beginne und nach 19:00 Uhr ende.


    Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr mit dem Hauptantrag stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Abweisung der Klage.


    Entscheidungsgründe


    Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann der Klage nicht stattgegeben werden. Mangels entsprechender Feststellungen durch das Landesarbeitsgericht kann der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden. Das angegriffene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Ob der Kläger über den 6. April 2015 hinaus einen Anspruch auf Beschäftigung in der Nachtschicht hatte oder ob er aufgrund der Anordnung der Beklagten vom 25. März 2015 rechtswirksam mit Wirkung ab dem 7. April 2015 in die Wechselschicht umgesetzt wurde, steht noch nicht fest.


    I. Die auf vertragsgemäße Beschäftigung gerichtete Leistungsklage ist zulässig.


    1. Bei einem Streit über die Berechtigung einer Versetzung oder einer anderen Ausübung des Weisungsrechts bestehen für den Arbeitnehmer zwei Möglichkeiten: Er kann zum einen deren Berechtigung im Rahmen einer Feststellungsklage klären lassen. Zum anderen hat er die Möglichkeit, den Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung im Rahmen einer Klage auf künftige Leistung gem. § 259 ZPO durchzusetzen. Bei der Prüfung des Beschäftigungsanspruchs ist die Wirksamkeit der Ausübung des Weisungsrechts als Vorfrage zu beurteilen (BAG 25. August 2010 - 10 AZR 275/09 - Rn. 12 mwN, BAGE 135, 239 [zur Versetzung]).


    2. Der Antrag des Klägers ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. In Verbindung mit der Klagebegründung ist erkennbar, welche konkrete Beschäftigung er anstrebt. Die Voraussetzungen nach § 259 ZPO liegen vor.


    II. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte der Klage nicht stattgegeben werden.


    1. Im Arbeitsverhältnis besteht grundsätzlich ein Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung. Im Falle einer unwirksamen Weisung des Arbeitgebers richtet sich der Beschäftigungsanspruch auf die zuletzt zugewiesene Tätigkeit (vgl. BAG 25. August 2010 - 10 AZR 275/09 - Rn. 15, BAGE 135, 239). Dies gilt auch im Fall einer (nur) unbilligen Weisung. Der Arbeitnehmer ist nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB nicht - auch nicht vorläufig - an eine Weisung des Arbeitgebers gebunden, die die Grenzen billigen Ermessens nicht wahrt (grundlegend BAG 18. Oktober 2017 - 10 AZR 330/16 - Rn. 58 ff. mwN).


    2. Das Landesarbeitsgericht geht zutreffend davon aus, dass sich ein Anspruch des Klägers auf Einsatz in der Nachtschicht nicht bereits aus seinem Arbeitsvertrag ergibt und auch keine entsprechende Konkretisierung erfolgt ist (vgl. dazu zB BAG 13. Juni 2012 - 10 AZR 296/11 - Rn. 24 mwN). Gegenrügen hat der Kläger nicht erhoben, Rechtsfehler sind nicht erkennbar.


    3. Der Kläger wendet sich auch nicht mit Gegenrügen gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, einer Beteiligung des bei der Beklagten bestehenden Betriebsrats nach §§ 99 ff., § 95 Abs. 3 BetrVG habe es nicht bedurft, da es sich bei der streitgegenständlichen Maßnahme nicht um eine Versetzung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn handele (vgl. dazu BAG 23. November 1993 - 1 ABR 38/93 - BAGE 75, 97). Die diesbezüglichen Ausführungen des Berufungsgerichts lassen keine Rechtsfehler erkennen. Gleiches gilt im Hinblick auf die vorinstanzlich erhobene Rüge eines Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot gem. § 612a BGB (vgl. dazu BAG 16. Oktober 2013 - 10 AZR 9/13 - Rn. 38 mwN).


    4. Die weitere Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe bei der Ausübung ihres Weisungsrechts die Grenzen des billigen Ermessens gem. § 106 GewO, § 315 Abs. 1 BGB überschritten, weil sie kein betriebliches Eingliederungsmanagement iSv. § 84 Abs. 2 SGB IX und auch keine gleichwertige Maßnahme durchgeführt habe, ist dagegen rechtsfehlerhaft.


    a) Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen (§ 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB) verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Dem Inhaber des Bestimmungsrechts nach § 106 GewO, § 315 Abs. 1 BGB verbleibt auch im Falle der Versetzung für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Innerhalb dieses Spielraums können dem Bestimmungsberechtigten mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Dem Gericht obliegt nach § 106 GewO, § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB die Prüfung, ob der Arbeitgeber als Gläubiger die Grenzen seines Bestimmungsrechts beachtet hat. Bei dieser Prüfung kommt es nicht auf die vom Bestimmungsberechtigten angestellten Erwägungen an, sondern darauf, ob das Ergebnis der getroffenen Entscheidung den gesetzlichen Anforderungen genügt. Die Darlegungs- und Beweislast für die Einhaltung dieser Grenzen hat der Bestimmungsberechtigte. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ausübungskontrolle ist der Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hatte (st. Rspr., zuletzt zB BAG 18. Oktober 2017 - 10 AZR 330/16 - Rn. 45).


    b) Der Begriff des billigen Ermessens bei der Ausübung des Weisungsrechts iSv. § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Bei dessen Anwendung steht dem Tatsachengericht ein Beurteilungsspielraum zu. Dies gilt auch im Fall der Kontrolle der Ausübung des Weisungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB. Der Beurteilungsspielraum des Tatsachengerichts ist vom Revisionsgericht nur darauf zu überprüfen, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob das Urteil in sich widerspruchsfrei ist (grundlegend BAG 18. Oktober 2017 - 10 AZR 330/16 - Rn. 46 ff. mwN).


    c) Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält einer solchen eingeschränkten Überprüfung nicht stand. Das Landesarbeitsgericht ist von einem Fehlverständnis der Rechtswirkungen des § 84 Abs. 2 SGB IX ausgegangen. Infolgedessen hat es wesentlichen Vortrag der Beklagten außer Acht gelassen, da es die Berufung der Beklagten auf gesundheitliche Aspekte der Umsetzung an die Durchführung eines BEM oder einer gleichwertigen Maßnahme geknüpft hat.


    aa) Die Beklagte war verpflichtet, ein BEM gem. § 84 Abs. 2 SGB IX durchzuführen. Dies gilt entgegen der Auffassung der Revision unabhängig davon, ob die Beklagte die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Erwägung gezogen hat.


    (1) Nach § 84 Abs. 2 SGB IX hat der Arbeitgeber bei einem Beschäftigten, der innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig gewesen ist, mit der zuständigen Interessenvertretung mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Dieses Erfordernis eines BEM besteht für alle Arbeitnehmer und nicht nur für behinderte Menschen (st. Rspr., zuletzt zB BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 565/14 - Rn. 25; grundlegend BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 35, BAGE 123, 234). Es ist Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung des BEM zu ergreifen (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 31 mwN, BAGE 150, 117).


    (2) Bereits nach dem Wortlaut des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX kommt es für die Pflicht zur Durchführung eines BEM allein darauf an, dass ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres entsprechende Krankheitszeiten aufweist, unabhängig davon, ob diese Krankheitszeiten in einer oder mehreren Perioden der Arbeitsunfähigkeit erreicht wurden (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 19 mwN) und ob es sich um eine lang andauernde Erkrankung oder um häufige Kurzerkrankungen mit verschiedenen Ursachen handelt (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 42, BAGE 150, 117). Subjektive Erwägungen des Arbeitgebers, die auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zielen oder der Entschluss zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses sind hingegen nach der Norm nicht Voraussetzung für diese Verpflichtung des Arbeitgebers. Ein solches Verständnis würde auch dem Sinn und Zweck des BEM widersprechen. Durch die dem Arbeitgeber auferlegten besonderen Verhaltenspflichten soll möglichst frühzeitig einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses eines kranken Menschen begegnet und die dauerhafte Fortsetzung der Beschäftigung erreicht werden (Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 32: „Ermöglichen aktiver Beschäftigung“). Ziel des BEM ist - wie das der gesetzlichen Prävention nach § 84 Abs. 1 SGB IX - die frühzeitige Klärung, ob und ggf. welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu fördern. Die in § 84 Abs. 2 SGB IX genannten Maßnahmen dienen damit letztlich der Vermeidung einer Kündigung und der Verhinderung von Arbeitslosigkeit erkrankter und kranker Menschen (vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 32 mwN, BAGE 135, 361; vgl. auch die Begründung zum Regierungsentwurf BT-Drs. 15/1783 S. 16). Um den Zielen des BEM zu genügen, ist ein unverstellter, verlaufs- und ergebnisoffener Suchprozess erforderlich (vgl. BAG 22. März 2016 - 1 ABR 14/14 - Rn. 11 mwN, BAGE 154, 329; 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 30 mwN, BAGE 150, 117). Auf eine konkrete Gefährdung des Beschäftigungsverhältnisses kommt es nicht an (Cramer/Ritz/Schian SGB IX 6. Aufl. § 84 Rn. 20). Dem stünde entgegen, das BEM immer erst dann durchzuführen, wenn eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber bereits in Erwägung gezogen wird.


    (3) Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war der Kläger in der Zeit vom 2. Dezember 2014 bis zum 26. Februar 2015 arbeitsunfähig erkrankt, mithin länger als sechs Wochen. Als die Beklagte im Zusammenhang mit dem sog. Krankenrückkehrgespräch am 25. März 2015 die Umsetzung des Klägers in die Wechselschicht anordnete, lagen die Voraussetzungen nach § 84 Abs. 2 SGB IX vor, so dass die Beklagte eine entsprechende Initiative hätte ergreifen müssen. Dies ist jedoch nicht geschehen. Das Krankenrückkehrgespräch erfüllte unstreitig die gesetzlichen Anforderungen an ein BEM nicht (vgl. dazu BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 32 mwN, BAGE 150, 117).


    bb) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts führt die Unterlassung eines BEM oder einer gleichwertigen Maßnahme aber nicht dazu, dass eine Ausübung des Weisungsrechts durch den Arbeitgeber, die (auch) auf Gründe gestützt wird, die im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers stehen, bereits deswegen formell oder materiell unmittelbar unwirksam wäre. Ebenso wenig ist der Arbeitgeber in einer solchen Situation durch § 84 Abs. 2 SGB IX gehindert, sich im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung der Wahrung der Grenzen des billigen Ermessens nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB auf Gründe für die Maßnahme zu berufen, die im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand oder der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers stehen.


    (1) § 84 Abs. 2 SGB IX selbst gibt keinen Anhaltspunkt für die Annahme, die unterlassene Durchführung des BEM führe unmittelbar zur Unwirksamkeit einer Versetzung oder einer anderen Ausübung des Weisungsrechts durch den Arbeitgeber.


    (2) Wie dargelegt, dient das BEM dem Ziel, krankheitsbedingten Gefährdungen des Arbeitsverhältnisses möglichst frühzeitig entgegenzutreten und im Rahmen eines ergebnisoffenen Suchprozesses Wege zu finden, um erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und damit das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Durch das BEM können ggf. mildere Mittel gegenüber dem Ausspruch einer Kündigung gefunden werden; das BEM selbst ist aber kein solches milderes Mittel gegenüber anderen Maßnahmen (vgl. BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 41 mwN, BAGE 123, 234; aA wohl ohne Begründung LAG Köln 12. Dezember 2013 - 7 Sa 537/13 - zu II 1 b der Gründe).


    (3) Nach ständiger Rechtsprechung ist die Durchführung des BEM keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung. § 84 Abs. 2 SGB IX ist aber auch kein bloßer Programmsatz. Die Norm konkretisiert vielmehr den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe eines BEM können mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wie zB die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen, ggf. durch Umsetzungen „freizumachenden“ Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden. Nur wenn auch die Durchführung des BEM keine positiven Ergebnisse hätte zeitigen können, ist sein Fehlen unschädlich. Um darzutun, dass die Kündigung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt und ihm keine milderen Mittel zur Überwindung der krankheitsbedingten Störung des Arbeitsverhältnisses als die Kündigung offenstanden, muss der Arbeitgeber die objektive Nutzlosigkeit des BEM darlegen (zuletzt zB BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 565/14 - Rn. 28 mwN).


    (4) Das BEM ist auch im Fall einer Versetzung oder einer anderen Ausübung des Direktionsrechts, die (auch) auf gesundheitliche Gründe gestützt wird, keine formelle oder unmittelbare materielle Wirksamkeitsvoraussetzung für die Maßnahme. Das Gesetz bestimmt dies nicht ausdrücklich, vielmehr sieht es im Fall der Unterlassung des BEM gar keine Rechtsfolge vor. Um ein Verbotsgesetz iSd. § 134 BGB handelt es sich nicht (BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 36, BAGE 123, 234). Von einer formellen Wirksamkeitsvoraussetzung geht wohl auch das Landesarbeitsgericht nicht ausdrücklich aus. Als solche würde die Unterlassung des BEM aber faktisch wirken, wenn dem Arbeitgeber - wie das Landesarbeitsgericht offenbar annimmt - verwehrt wäre, sich auf die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers oder andere mit seinem Gesundheitszustand in Zusammenhang stehende Gründe zur Begründung einer Ausübung des Weisungsrechts zu berufen. Eine solche Vorrangstellung des § 84 Abs. 2 SGB IX gegenüber dem Weisungsrecht nach § 106 Satz 1 GewO lässt sich der Norm ebenso wenig wie im Verhältnis zu § 1 KSchG entnehmen.


    (5) Dabei ist auch zu beachten, dass sich der auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zielende Ausspruch einer Kündigung und die der Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses dienende Ausübung des Weisungsrechts durch den Arbeitgeber nach Voraussetzungen und Wirkungen deutlich unterscheiden. Mit seinem Weisungsrecht konkretisiert der Arbeitgeber die arbeitsvertraglich häufig nur rahmenmäßig bestimmte Arbeitspflicht und schafft damit regelmäßig erst die Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer diese erfüllen und das Arbeitsverhältnis praktisch durchgeführt werden kann (BAG 18. Oktober 2017 - 10 AZR 330/16 - Rn. 60). Deshalb sind für die Überprüfung der Wirksamkeit einer Weisung auch keine kündigungsrechtlichen Maßstäbe anzulegen, diese bestimmen sich vielmehr entsprechend der gesetzlichen Vorgabe nach § 106 GewO, § 315 BGB (vgl. BAG 28. August 2013 - 10 AZR 569/12 - Rn. 41 [zur Bedeutung einer unternehmerischen Entscheidung für eine Versetzung]).


    (6) Das Landesarbeitsgericht unterscheidet mit seinen Annahmen auch nicht ausreichend zwischen dem BEM und den Maßnahmen, die aufgrund des BEM in Betracht kommen (vgl. BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 41, BAGE 123, 234). Wird als Maßnahme aus einem BEM eine Versetzung oder andere Ausübung des Weisungsrechts in Erwägung gezogen, richtet sich die Verbindlichkeit der arbeitgeberseitigen Weisung nach § 106 GewO, § 315 BGB. Der Arbeitnehmer kann sich - unabhängig von möglichen Folgen in einem Streit über eine spätere krankheitsbedingte Kündigung - gegen eine solche Maßnahme wenden, eine Bindung an die Ergebnisse des BEM besteht nicht. Umgekehrt würde es dem in § 84 Abs. 2 SGB IX zum Ausdruck kommenden Präventionsgedanken widersprechen, wenn der Arbeitgeber eine aus gesundheitlichen Gründen gebotene Umsetzung, die auch ansonsten billigem Ermessen entspricht, nicht vornehmen dürfte, nur weil er kein BEM durchgeführt hat. Soweit § 84 Abs. 2 SGB IX insoweit vom Erhalt des „Arbeitsplatzes“ spricht, handelt es sich um einen offensichtlichen Redaktionsfehler (BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 32, BAGE 150, 117; Düwell in LPK-SGB IX § 84 Rn. 32; aA wohl Cramer/Ritz/Schian SGB IX § 84 Rn. 20).


    (7) Darüber hinaus übersieht das Landesarbeitsgericht, dass es im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung einer Versetzung oder einer anderen Ausübung des Weisungsrechts nach § 106 GewO, § 315 BGB nicht auf die vom Bestimmungsberechtigten angestellten Erwägungen ankommt, sondern darauf, ob das Ergebnis der getroffenen Entscheidung die Grenzen billigen Ermessens wahrt (BAG 18. Oktober 2017 - 10 AZR 330/16 - Rn. 35 mwN). Dies hat der Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen. Auch wenn es dem Arbeitgeber - wie möglicherweise hier - um die Suche nach der unter gesundheitlichen Aspekten besten Einsatzmöglichkeit für einen Arbeitnehmer geht, verlangt der Zweck des BEM nicht, die Maßnahme nur deshalb als unwirksam anzusehen, weil der Arbeitnehmer seine Interessen nicht zuvor selbst eingebracht hat. Entscheidend ist vielmehr, ob die Ausübung des Weisungsrechts auch diese Interessen des Arbeitnehmers im Rahmen der notwendigen Abwägung wahrt. Wenn der Arbeitgeber wegen des fehlenden BEM erhebliche Belange des Arbeitnehmers hingegen nicht hinreichend berücksichtigt hat, weil er sie deswegen beispielweise gar nicht kannte, wird sich die Maßnahme im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung regelmäßig als unwirksam erweisen, sofern nicht gleichwohl die von ihm angeführten Abwägungsgesichtspunkte die Wahrung billigen Ermessens begründen können (vgl. im Hinblick auf eine tarifvertragliche Verpflichtung zur Anhörung des Arbeitnehmers vor einer Versetzung BAG 18. Oktober 2017 - 10 AZR 330/16 - Rn. 35). Insofern kann das unterlassene BEM auch im Rahmen der Ausübung des Weisungsrechts zu Rechtsnachteilen für den Arbeitgeber führen (vgl. dazu Kohte/Liebsch juris-PR-ArbR 36/17 Anm. 5 [allerdings unter Hinweis auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz]).


    d) Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich darüber hinaus als rechtsfehlerhaft, weil es wesentlichen Vortrag der Beklagten zur Begründung der Umsetzung des Klägers übergangen hat. Die von der Beklagen zulässig nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO erhobene Verfahrensrüge hat Erfolg. Auch dies führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung (§ 562 Abs. 1 ZPO).


    aa) Die Beklagte hatte in den Vorinstanzen mehrfach vorgetragen, dass es für sie in der Nachtschicht schwieriger als in der Wechselschicht sei, einen häufig fehlenden Mitarbeiter zu ersetzen, da der Pool der heranzuziehenden Mitarbeiter gegenüber der Wechselschicht geringer sei. Mitarbeiter aus der Wechselschicht könnten nicht in der Nachtschicht eingesetzt werden, weil dann die Ruhezeiten nicht eingehalten werden könnten. Springe der Schichtführer ein, könne er seinen eigentlichen Aufgaben nicht mehr nachkommen. Diese betrieblichen Umstände hat sie ausdrücklich als weiteren Grund für die streitgegenständliche Maßnahme angeführt.


    bb) Das Landesarbeitsgericht hat diesen Vortrag der Beklagten im streitigen Tatbestand ausdrücklich wiedergegeben. In seinen Entscheidungsgründen führt es hingegen aus, die Beklagte habe „sonstige betriebliche Interessen“ nicht dargelegt und solche hätten im Zeitpunkt der Maßnahme objektiv auch nicht bestanden. An anderer Stelle benennt das Landesarbeitsgericht die Frage der gesundheitlichen Folgen der Umsetzung in die Wechselschicht als „das einzige [von der Beklagten] ins Feld geführte betriebliche Interesse“. Mit dem genannten Vortrag der Beklagten setzt sich das Landesarbeitsgericht nicht auseinander. Den Urteilsgründen ist auch nicht zu entnehmen, dass das Landesarbeitsgericht den diesbezüglichen Vortrag - unabhängig von der Frage etwaiger Hinweispflichten nach § 139 ZPO - als unsubstanziiert oder aus anderen prozessualen Gründen als nicht verwertbar angesehen hat.


    III. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, da das Landesarbeitsgericht nicht alle erforderlichen Feststellungen getroffen hat. Im Übrigen ist es regelmäßig Sache der Tatsacheninstanzen festzustellen, ob eine konkrete Maßnahme billigem Ermessen entspricht oder nicht (vgl. BAG 30. November 2016 - 10 AZR 805/15 - Rn. 34). Die Sache ist deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).


    1. Das Landesarbeitsgericht wird unter Zugrundelegung der obigen Grundsätze zu prüfen haben, ob die Weisung vom 25. März 2015 billigem Ermessen entsprach. Den Parteien wird Gelegenheit zu geben sein, ihren Vortrag hinsichtlich der für und gegen die Wirksamkeit der Weisung sprechenden tatsächlichen Umstände zu ergänzen, soweit das Landesarbeitsgericht diesen als nicht ausreichend substanziiert ansieht. Maßgeblich kann es dabei aber ausschließlich auf Umstände ankommen, die zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Maßnahme bereits vorlagen; spätere Entwicklungen (zB der Arbeitsunfähigkeitszeiten) können keine Berücksichtigung finden. Ebenso wenig kommt es im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung der Ausübung eines Weisungsrechts auf die vom Bestimmungsberechtigten angestellten Erwägungen an, sondern allein darauf, ob das Ergebnis der getroffenen Entscheidung den vertraglichen, tarifvertraglichen oder gesetzlichen Anforderungen genügt (vgl. BAG 30. November 2016 - 10 AZR 11/16 - Rn. 28).


    2. Das Landesarbeitsgericht wird bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen haben, dass es gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht, dass Nachtarbeit grundsätzlich für jeden Menschen schädlich ist und negative gesundheitliche Auswirkungen hat (BAG 9. Dezember 2015 - 10 AZR 423/14 - Rn. 17 mwN, BAGE 153, 378). Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass diese Erkenntnis eine Umsetzung in die Wechselschicht rechtfertigen kann. Der allgemeine Vortrag des Klägers, gerade für ihn sei eine dauerhafte Nachtschicht gesundheitlich besser als die Wechselschicht mit den wechselnden Arbeitszeiten, dürfte nicht genügen, um diese Erkenntnis infrage zu stellen. Allerdings wird zu berücksichtigen sein, dass im Betrieb der Beklagten weiterhin eine (Dauer-)Nachtschicht eingerichtet ist. Es bedarf daher besonderer Umstände in der Person des Klägers - wie beispielsweise deutlich überdurchschnittliche Arbeitsunfähigkeitszeiten - um diese allgemeine Erkenntnis gerade als (einen) hinreichenden Grund für dessen Umsetzung anzusehen. Konkret auf die individuelle gesundheitliche Situation des Klägers bezogene Gründe für die Maßnahme - die ggf. im Rahmen der Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements hätten festgestellt werden können - hat die Beklagte bisher jedenfalls nicht vorgetragen.


    3. Das Landesarbeitsgericht wird weiter dem Vortrag der Beklagten zur einfacheren Ersetzbarkeit des Klägers in der Wechselschicht bei krankheitsbedingten Ausfällen nachzugehen und diesen zu bewerten haben. Gleiches gilt für die bisher sehr allgemeine Behauptung des Klägers zu Nachteilen bei seiner Suchttherapie (vgl. zu solchen Erwägungen auch BAG 2. November 2016 - 10 AZR 596/15 - Rn. 32, BAGE 157, 153) und seinen im Hinblick auf den gegenläufigen Vortrag der Beklagten bisher wenig substanziierten Vortrag zu finanziellen Einbußen durch den Wegfall von Zuschlägen und Zulagen. Bei der Bewertung des letztgenannten Aspekts ist zu berücksichtigen, dass solche Zuschläge und Zulagen die besonderen Erschwernisse durch die Nachtarbeit ausgleichen sollen und diese Erschwernisse mit dem fehlenden Einsatz in der Nachtschicht ebenfalls entfallen (vgl. BAG 10. Dezember 2014 - 10 AZR 63/14 - Rn. 32). Von weiteren Hinweisen sieht der Senat ab.

    Beschluss vom 21. Dezember 2017 – V ZB 249/17


    Der u.a. für Abschiebungshaftsachen zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute den Eilantrag eines Ausländers, von dem nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden eine Terrorgefahr ausgeht (sogenannter "Gefährder"), abgewiesen. Der Betroffene befindet sich zur Sicherung seiner Abschiebung nach Algerien in Abschiebungshaft. Er hatte beim Bundesgerichtshof beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollziehung der Abschiebungshaft auszusetzen.


    Sachverhalt:

    Der Betroffene ist algerischer Staatsangehöriger und reiste erstmals Anfang 2003 in das Bundesgebiet ein. Am 16. März 2017 ordnete der Senator für Inneres der Freien Hansestadt Bremen gemäß § 58a AufenthG die Abschiebung des Betroffenen nach Algerien an, weil von diesem die Gefahr eines terroristischen Anschlags ausgehe. Am 21. März 2017 ordnete das Amtsgericht gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung seiner Abschiebung nach Algerien an. Die Haftanordnung wurde mehrfach verlängert.


    Das Bundesverwaltungsgericht lehnte mit Beschluss vom 31. Mai 2017 (1 VR 4.17) den gegen die Abschiebungsanordnung gerichteten Eilantrag des Betroffenen mit der Maßgabe ab, dass er erst nach Erlangung einer Zusicherung einer algerischen Regierungsstelle abgeschoben werden dürfe, wonach ihm in Algerien keine menschenrechtswidrige Behandlung drohe. Das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde des Betroffenen mit Beschluss vom 24. Juli 2017 (2 BvR 1487/17) nicht zur Entscheidung an.


    Die Bemühungen des Auswärtigen Amtes um eine entsprechende Erklärung der algerischen Regierung führten zu einer Verbalnote vom 30. Juli 2017, in der sich die algerische Regierung mit der Rückführung des Betroffenen einverstanden erklärte und dieses Einverständnis mit der Feststellung verband, dass der Betroffene in Algerien auf justizieller Ebene unbekannt und gegen ihn kein Strafverfahren anhängig sei. Hinsichtlich der verlangten diplomatischen Zusicherung zum Schutz des Betroffenen vor einer menschenrechtswidrigen Behandlung wird allgemein darauf hingewiesen, dass in Algerien die unabhängige Justiz für die Wahrung aller in der Verfassung verankerten und durch die algerischen Gesetze sowie die in internationalen Übereinkommen festgelegten Rechte und Grundfreiheiten in Bezug auf die Nichtanwendung strenger, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung sorge. Diese Erklärung hielt das Bundesverwaltungsgericht für nicht ausreichend und untersagte der Behörde mit Beschluss vom 13. November 2017 (1 VR 13.17), den Betroffenen auf der Grundlage der bisher eingegangenen Verbalnoten des algerischen Außenministeriums nach Algerien abzuschieben.


    Daraufhin hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 16. November 2017 den Antrag der Behörde auf weitere Verlängerung der Abschiebungshaft abgelehnt. Das Landgericht hingegen hat mit Beschluss vom 28. November 2017 die Abschiebungshaft gegen den Betroffenen bis zum 16. Januar 2018 verlängert. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Behörde in Zusammenarbeit mit dem Bundesinnenministerium zwischenzeitlich einen konkreten neuen Weg aufgezeigt habe, auf dem Algerien zur Abgabe der Zusicherung bewegt werden solle. Über die Polizeibehörden solle ein erneuter Versuch unternommen werden. Es bestehe eine realistische Möglichkeit, Algerien zum Einlenken zu bewegen. Daher erscheine es möglich, den Betroffenen innerhalb der gemäß § 62 Abs. 4 Satz 3 AufenthG achtzehn Monate betragenden Hafthöchstdauer nach Algerien abzuschieben.

    Der Betroffene wendet sich gegen die Entscheidung des Landgerichts mit der Rechtsbeschwerde. Zugleich hat er beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollziehung des Haftverlängerungsbeschlusses bis zur Entscheidung über die Rechtsbeschwerde auszusetzen.


    Entscheidung des Bundesgerichtshofs:


    Der Bundesgerichtshof hat den Antrag des Betroffenen, die Vollziehung der Sicherungshaft auszusetzen, zurückgewiesen.

    Über die beantragte einstweilige Anordnung ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Bei einem Ausländer, der gemäß § 58a Abs. 1 AufenthG aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr abgeschoben werden soll, sind in die erforderliche Abwägung u.a. auch die erheblichen Gefahren für Leib und Leben Dritter oder für bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit einzubeziehen. Die Aussetzung der Vollziehung kommt in solchen Fällen regelmäßig nur in Betracht, wenn es aufgrund der gebotenen summarischen Prüfung zumindest überwiegend wahrscheinlich ist, dass die Rechtsbeschwerde des Betroffenen Erfolg haben wird. Das ist hier nicht der Fall.


    1. Die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Haftverlängerungsbeschlusses des Landgerichts, der auf den Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1a AufenthG (Abschiebung von Gefährdern) gestützt ist, hängt zunächst davon ab, ob gegen den Betroffenen überhaupt eine über die grundsätzlich geltende Höchstfrist von sechs Monaten (§ 62 Abs. 4 Satz 1 AufenthG) hinausgehende Haftdauer angeordnet werden konnte. Das dürfte zu bejahen sein. Nach § 62 Abs. 4 Satz 3 AufentG ist eine Verlängerung der Abschiebungshaft um höchstens zwölf Monate möglich (insgesamt also eine Haftdauer von 18 Monaten), soweit die Haft – wie hier – auf der Grundlage des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1a AufenthG angeordnet worden ist und sich die Übermittlung der für die Abschiebung erforderlichen Unterlagen durch den zur Aufnahme verpflichteten oder bereiten Drittstaat verzögert. Die Durchführung der Abschiebung des Betroffenen konnte noch nicht erfolgen, weil Algerien eine Zusicherung, die den Anforderungen entspricht, die das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesverfassungsgericht formuliert haben, bislang nicht abgegeben hat. Bei der Zusicherung dürfte es sich um eine für die Abschiebung erforderliche Unterlage durch den zur Aufnahme verpflichteten oder bereiten Drittstaat im Sinne von § 62 Abs. 4 Satz 3 AufentG handeln, deren Übermittlung sich verzögert.
    2. Es ist auch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Rüge des Betroffenen, es fehle an einer gesicherten Prognose des Landgerichts, dass die für eine Abschiebung erforderliche Zusicherung Algeriens innerhalb der vorgesehenen Zeit erlangt werden könne, Erfolg hat. Die für die Abschiebung zuständige Behörde ist nur damit gescheitert, die erforderliche Garantieerklärung auf diplomatischem Wege, also unter Einschaltung des deutschen Auswärtigen Amtes und des algerischen Außenministeriums zu erlangen. Dies schließt aber nicht aus, dass eine solche Zusicherung auf dem Wege einer unmittelbaren Kontaktaufnahme mit dem zuständigen Fachministerium, hier dem für die Leitung der Sicherheitsbehörden zuständigen Innenminsterium, erreicht wird.

    Beschluss vom 18. Dezember 2017 – 1 StR 547/17


    Das Landgericht Ravensburg hat den zur Tatzeit 16jährigen Angeklagten wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt.


    Nach den landgerichtlichen Feststellungen waren der Angeklagte und das später getötete 17jährige Opfer am Tattag während der Karnevalszeit in Mittelbiberach abends in eine zunächst verbale Auseinandersetzung untereinander geraten, in deren Zuge es schließlich zu wechselseitigen leichten Schubsern kam. Beide Kontrahenten, die sich bis dahin nicht begegnet waren, standen unter Alkoholeinfluss. Nach diesen Schubsereien, zu einem Zeitpunkt als der später Getötete mit keinem Angriff seitens des Angeklagten rechnete, zog dieser völlig überraschend ein Klappmesser hervor und versetzte dem Opfer einen wuchtigen Stich in den Unterbauch. Der Stich durchtrennte die äußere Beckenschlagader, schlitzte die äußere Beckenvene auf und durchstieß zweifach den Dünndarm. Es trat bereits nach kurzer Zeit ein hoher Blutverlust ein. Trotz Reanimationsmaßnahmen und einer zeitnahen operativen Versorgung der schweren Verletzungen verstarb das Opfer noch in der Nacht.


    Das Landgericht hat die Tat wegen des das Opfer unvorbereitet und völlig unerwartet treffenden Angriffs auf sein Leben als Mord unter Verwirklichung des Mordmerkmals der Heimtücke gewertet. Bei der gebotenen Anwendung von Jugendstrafrecht hat das Landgericht die Verhängung einer Jugendstrafe sowohl auf die "schädliche Neigungen" des Angeklagten, die sich vor der Tötungstat auch bereits in einem aggressiven Vorgehen gegen einen erheblich alkoholisierten Besucher des Narrenumzugs gezeigt hatten, als auch auf "Schwere der Schuld" jeweils iSv § 17 Abs. 2 JGG gestützt. Bei der Bemessung der Strafe ist vor allem der in der Tat zum Ausdruck kommende erhebliche Erziehungsbedarf berücksichtigt worden.


    Der Bundesgerichtshof hat das Rechtsmittel als unbegründet verworfen, weil das angefochtene Urteil des Landgerichts Ravensburg keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten enthält. Das Verfahren ist damit rechtskräftig abgeschlossen.

    Mann-zu-Frau-Transsexuelle kann hinsichtlich eines mit ihrem Samen gezeugten Kindes rechtlich nur Vater werden


    Beschluss vom 29. November 2017 - XII ZB 459/16


    Der unter anderem für das Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass eine Mann-zu-Frau-Transsexuelle, mit deren konserviertem Spendersamen ein Kind gezeugt wurde, rechtlich nur die Vater- und nicht die Mutterstellung erlangen kann.


    Sachverhalt:

    Die Beteiligte zu 1 ist transsexuell. Der Beschluss über die Feststellung ihrer Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht ist seit August 2012 rechtskräftig. Die Beteiligten zu 1 und 2 haben im September 2015 eine eingetragene Lebenspartnerschaft begründet. Zuvor hatte die Beteiligte zu 2 im Juni 2015 das betroffene Kind geboren. Dieses war nach dem Vortrag der Beteiligten mit dem konservierten Samen der Beteiligten zu 1 gezeugt worden. In einer notariellen Urkunde hatte diese noch vor der Geburt mit Zustimmung der Beteiligten zu 2 anerkannt, Mutter des Kindes zu sein.


    Verfahrensverlauf:

    Das Standesamt hat die Geburt des Kindes im Geburtenregister mit dem Inhalt beurkundet, dass die Beteiligte zu 2 dessen Mutter ist. Die Eintragung der Beteiligten zu 1, die ebenfalls als Mutter eingetragen werden will, hat es abgelehnt. Das Amtsgericht hat den Antrag der Beteiligten zu 1 und 2, das Standesamt anzuweisen, auch die Beteiligte zu 1 als Mutter einzutragen, zurückgewiesen. Das Kammergericht hat die dagegen eingelegte Beschwerde zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgen sie ihr Begehren weiter, dass auch die Beteiligte zu 2 als Mutter eingetragen wird.


    Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:


    Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des Kammergerichts bestätigt.


    Zwar richten sich die vom Geschlecht abhängigen Rechte und Pflichten ab Rechtskraft der Entscheidung, dass ein Transsexueller als dem anderen Geschlecht zugehörig anzusehen ist, gemäß § 10 Abs. 1 TSG nach dem neuen Geschlecht, wenn durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Nach § 11 Satz 1 TSG lässt eine solche Entscheidung das Rechtsverhältnis zwischen ihm und seinen Kindern allerdings unberührt. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Vorschrift des § 11 Satz 1 TSG auch für solche leiblichen Kinder eines Transsexuellen gilt, die erst nach der Entscheidung über die Änderung der elterlichen Geschlechtszugehörigkeit geboren worden sind. Durch die Regelung wird gewährleistet, dass der biologisch durch Geburt oder Zeugung festgelegte rechtliche Status als Mutter oder Vater des Kindes gesichert und einer Veränderung nicht zugänglich ist (vgl. auch Pressemitteilung 148/2017).


    Rechtliche Mutter des Kindes ist abstammungsrechtlich dementsprechend nur die Frau, die das Kind geboren hat (§ 1591 BGB). Als dem Fortpflanzungsbeitrag der Mann-zu-Frau-Transsexuellen durch Samenspende entsprechende Form der Elternschaftsbeteiligung ist mithin nur die Begründung der Vaterschaft möglich (§ 1592 BGB). Die von ihr stattdessen ausdrücklich erklärte Mutterschaftsanerkennung konnte daher keine Wirksamkeit erlangen.


    Es verstößt nicht gegen Grundrechte der transsexuellen Person, dass ihr das geltende Abstammungsrecht - ungeachtet des Umstands, dass sie nunmehr als dem anderen Geschlecht zugehörig gilt - den sich aus dem früheren Geschlecht und dem diesem entsprechenden spezifischen Fortpflanzungsbeitrag ergebenden rechtlichen Elternstatus zuweist. Das Transsexuellengesetz stellt daher sicher, dass den betroffenen Kindern trotz der rechtlichen Geschlechtsänderung eines Elternteils rechtlich immer ein Vater und eine Mutter zugewiesen werden, und steht im Einklang mit dem Grundgesetz.

    Urteil vom 21. November 2017 - X ZR 111/16


    Sachverhalt:

    Die Kläger begehren von dem beklagten Reiseveranstalter Minderung des Reisepreises nach § 651d Abs. 1 BGB sowie eine Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit nach § 651f Abs. 2 BGB.

    Die Kläger buchten im März 2015 eine Reise nach Antalya. Nach dem Reisevertrag sollten sie in einem bestimmten Hotel in einem Zimmer mit Meerblick oder seitlichem Meerblick wohnen. Wegen einer Überbuchung wurden sie jedoch für drei Tage in einem anderen Hotel untergebracht. Das Zimmer in diesem Hotel bot keinen Meerblick und wies schwerwiegende Hygienemängel auf.


    Bisheriger Prozessverlauf:

    Das Amtsgericht hat der Klage hinsichtlich einer Minderung des Reisepreises in Höhe von 605,19 € stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Landgericht den Klägern eine weitere Minderung in Höhe von 371,36 € zugesprochen; die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.

    Mit den vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen begehren die Kläger weiterhin die ihnen von den Vorinstanzen versagte Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit in Höhe von mindestens 1.250 € und die Beklagte eine Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, soweit sie mit dem Berufungsurteil zu mehr als insgesamt 894,02 € verurteilt worden ist.


    Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

    Unbegründet ist nach dem Urteil des für das Reiserecht zuständigen X. Zivilsenats die Revision der Beklagten. Sie wendet sich ohne Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht bereits in der Unterbringung der Kläger in einem Hotel ähnlichen Standards und ähnlicher Ausstattung, das jedoch nicht das von den Klägern gebuchte war, einen Mangel gesehen hat, der für die betreffenden Urlaubstage zu einer Verringerung des geschuldeten Reisepreises um 10 % führt. Der Wert der vom Reiseveranstalter tatsächlich erbrachten Leistung entsprach nämlich nicht dem Wert der gebuchten. Wie etwa "Fortuna-Reisen" zeigen, bei denen der Reiseveranstalter Einzelheiten der Reise wie das Hotel nachträglich bestimmen darf, zahlt der Reisende, dem vertraglich ein bestimmtes Hotel versprochen wird, einen Teil des Reisepreises auch dafür, dass er diese Auswahl nach seinen persönlichen Vorlieben selbst trifft und gerade nicht dem Reiseveranstalter überlässt.

    Die Revision der Kläger, mit der sie sich dagegen wenden, dass ihnen die Vorinstanzen eine Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit versagt haben, ist hingegen begründet. Der Bundesgerichtshof hebt insoweit das Berufungsurteil auf und spricht den Klägern eine Entschädigung in Höhe von 600 € zu. Das Berufungsgericht hat zwar im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass der Anspruch auf eine angemessene Entschädigung nach § 651f Abs. 2 BGB voraussetzt, dass nicht nur einzelne Reiseleistungen oder einzelne Reisetage, sondern die Reise insgesamt vereitelt oder erheblich beeinträchtigt worden ist. Ob dies der Fall ist, hängt aber nicht davon ab, ob die Minderung des Reisepreises wegen Mängeln einzelner Reiseleistungen einen bestimmten Mindestprozentsatz des gesamten Reisepreises übersteigt.

    Im Streitfall hat das Berufungsgericht eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise zu Unrecht verneint. Es hat angenommen, dass die ersten drei von zehn Urlaubstagen ihren Zweck weitgehend nicht erfüllen konnten, weil die schwerwiegenden hygienischen Mängel des den Klägern zunächst zur Verfügung gestellten Hotelzimmers den Aufenthalt in diesem "schlechthin unzumutbar" gemacht haben und der Tag des Umzugs in das gebuchte Hotel im Wesentlichen nicht zur Erholung dienen konnte; es hat den anteiligen Reisepreis für diese Tage deshalb als um 70 bzw. 100 % gemindert angesehen. Auch wenn die verbleibenden Tage von den Klägern uneingeschränkt für den Strandurlaub genutzt werden konnten, wird bei einer derart weitgehenden Entwertung eines Teils der nach Wochen oder Tagen bemessenen Urlaubszeit diese teilweise "nutzlos aufgewendet" und damit auch die Reise insgesamt erheblich beeinträchtigt.

    Mainz/Berlin, 13. Dezember 2017 – Die Webseiten sehen sich zum Verwechseln ähnlich, nur die URL und das Logo sind verschieden: Das Marktwächter-Team der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz ist durch Verbraucherbeschwerden auf ein ganzes Netzwerk an vermeintlichen Video-Streaming-Webseiten gestoßen. Auf diesen versuchen Betrüger offenbar, Verbraucher in eine Abofalle zu locken. Zusätzlich verbreiten sie Falschinformationen in selbst erstellten YouTube-Videos. Seine Erkenntnisse gab das Marktwächter-Team nun an rheinland-pfälzische Ermittlungsbehörden weiter.


    Über das Frühwarnnetzwerk der Verbraucherzentralen wurde eine Reihe an vermeintlichen Video-Streaming-Webseiten auffällig. Die betroffenen Verbraucher, darunter häufig Minderjährige, gelangten über ein Pop-up-Fenster auf eine der Webseiten der Betreiber. In der Regel wurde hier mit einem fünftägigen kostenlosen Testabonnement geworben. Für die Nutzung mussten sich die Verbraucher registrieren und dabei neben ihren Adressdaten eine E-Mail-Adresse und eine Telefonnummer angeben. Sie konnten sich jedoch auf den Webseiten entweder nicht erfolgreich registrieren oder nach der erfolgten Registrierung keine Filme oder Serien streamen. Folglich gingen sie davon aus, dass die Registrierung nicht funktioniert habe. Allerdings sind die Daten dennoch bei den Betreibern der Webseiten gelandet, die dann die Kosten für ein Abo in Rechnung stellten.

    FEHLENDE VERBRAUCHERINFORMATIONEN AUF DEN WEBSEITEN

    Nicht auf allen betroffenen Webseiten und nicht zu jedem Zeitpunkt sind verbraucherschützende Angaben wie Kosten des Abonnements, die automatische Verlängerung oder ein ,Kostenpflichtig registrieren‘-Button vorhanden. „Dies ist offenbar Teil der Strategie der Betreiber“, so Maximilian Heitkämper, Rechtsreferent im Marktwächter-Team Digitale Welt der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. „Bei einem seriösen Angebot erhalten Verbraucher zudem eine Vertragsbestätigung mit den gesetzlich vorgeschriebenen Angaben zu den geltenden Konditionen per E-Mail. Und sie können auf die Inhalte des Streaming-Dienstes sofort zugreifen. Auf den hier betroffenen Webseiten sind aber offensichtlich gar keine Filme oder Serien zum Abruf vorhanden.“

    AGGRESSIVE ZAHLUNGSAUFFORDERUNG

    Nach Ablauf einer fünftägigen Testphase wurden die betroffenen Verbraucher per E-Mail und teilweise auch telefonisch von den Betreibern der Webseiten kontaktiert. Auf aggressive Weise forderten sie die Verbraucher zur Zahlung eines Jahres-Abo-Betrags auf. Die Betreiber beriefen sich dabei auf den Abschluss eines kostenpflichtigen Jahres-Abos und forderten die Begleichung eines Jahresbetrages von rund 144, 238 oder 359 Euro.

    FALSCHE INFORMATIONEN ÜBER YOUTUBE-VIDEOS

    Einige der betroffenen Verbraucher konnten die Forderung nicht nachvollziehen und recherchierten im Internet, ob diese gerechtfertigt ist. Wie das Marktwächter-Team in Rheinland-Pfalz feststellte, haben die Betreiber der Webseiten offenbar für diesen Fall verschiedene fragwürdige Videos bei YouTube hochgeladen. In diesen Videos lautet die vermeintlich anwaltliche Auskunft, die Forderung des Anbieters sei rechtens, da Verbraucher bei Abschluss die Nutzungsbedingungen akzeptieren mussten.

    VORSICHT VOR DIESEN ANBIETERN

    Die Betreiber dieser Webseiten stellen offenbar regelmäßig weitere Webseiten-URLs online. Auf fast allen dieser Webseiten gibt es ein Impressum, in dem eines von vier Unternehmen mit Sitz in Großbritannien genannt wird. Dabei handelt es sich um „Turquoiz Limited“, „Lovelust Limited“, „Bizcon Limited“ und „Anmama Limited“. Nach Recherchen des Marktwächter-Teams der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz gibt es bereits über 40 URLs dieser Betreiber. „Etwa die Hälfte der Webseiten ist derzeit aktiv, die andere Hälfte haben die Betreiber entweder ganz oder zeitweise offline gestellt“, so Heitkämper weiter. „Wir können Verbraucher nur davor warnen, sich auf einer dieser Webseiten zu registrieren.“

    ERMITTLUNGSBEHÖRDEN INFORMIERT

    Das Marktwächter-Team der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz hat seine Erkenntnisse zu den Betreibern nun an die Ermittlungsbehörden weitergegeben. „Wir bezweifeln, dass die in den Impressen genannten Firmenangaben stimmen. Vielmehr scheinen sich Betrüger hinter diesen falschen Angaben zu verstecken. Daher ist dies ein Fall für Polizei und Staatsanwaltschaft“, so Heitkämper.


    Zusätzliche Informationen

    Nach Recherchen des Marktwächter-Teams der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz betreiben die genannten Firmen „Turquoiz Limited“, „Lovelust Limited“, „Bizcon Limited“ und „Anmama Limited“ die folgenden Seiten:

    bigostream , boboflix , bobstream , cinemadome , cinemaxx24 , cineplex24 , dodoflix , felixkino , filmpalast24 , fixago , flexkino , flixago , flixkino , imaxcine , imaxdome , imaxFilme , imaxkino , imaxtime , imaxWelt , kinoflexx , kinolox , kinopalast24 , kinoplexx , kinowelt24 , kinozeit , loxostream , maxxflix , meinkinowelt , mexflix , mexkino , streamago , streamdome , streamgogo , streamlox , streamnox , streamogo , streamoro , streamtime , streamtoto , streamtox , streamzeit , wowflix und yalastream .

    juristi hat eine neue Datei hinzugefügt:
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    Zitat

    Der juristi.Mustertext zum Arbeitsrecht formuliert eine Absage an einen Bewerber, auf den die Stellenanzeige passt. Der Bewerber ist für den Arbeitsplatz geeignet, jedoch gibt es mehrere Bewerber.


    Das Muster ist wohlwollend vormuliert und endet mit besten Wünschen an den Bewerber.


    Das Muster wird nach dem kostenpflichtigen Erwerb als pdf-Datei zum sofortigen Download angeboten.

    Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat entschieden, dass das Verbot, Casino-, Rubbellos- und Pokerspiele im Internet zu veranstalten oder zu vermitteln, auch nach der teilweisen Öffnung des Vertriebswegs „Internet“ für Sportwetten und Lotterien mit Verfassungs- und Unionsrecht vereinbar ist.


    Die auf Malta und in Gibraltar niedergelassenen Klägerinnen wandten sich gegen glücksspielrechtliche Untersagungsverfügungen. Sie boten im Internet Casino-, Rubbellos- und Pokerspiele an. Die Klägerin im Verfahren BVerwG 8 C 18.16 bot außerdem Online-Sportwetten an, ohne über eine Konzession nach dem Glücksspielstaatsvertrag zu verfügen. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat der Berufung der Klägerinnen gegen die Abweisung ihrer Klagen stattgegeben und die Untersagungen aufgehoben. Die Revisionen des beklagten Landes hatten Erfolg.


    Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, die in den Untersagungsverfügungen ausdrücklich genannten Glücksspielarten hätten detailliert beschrieben werden müssen, überspannt die Anforderungen des Bestimmtheitsgebots. Außerdem hat der Verwaltungsgerichtshof zu Unrecht angenommen, eine Untersagungsverfügung sei selbst bei einer Verpflichtung der Behörde zum Einschreiten willkürlich, wenn ihr kein im Voraus festgelegtes Eingriffskonzept zugrunde liege.


    Die Aufhebung der Untersagungen durch den Verwaltungsgerichtshof stellt sich auch nicht als im Ergebnis richtig dar. Mit Ausnahme von Sportwetten und Lotterien ist das Veranstalten und Vermitteln von öffentlichem Glücksspiel im Internet verboten und dementsprechend zu untersagen. Dieses Internetverbot verstößt nicht gegen die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit. Das haben der Gerichtshof der Europäischen Union und das Bundesverwaltungsgericht bezogen auf das vormalige generelle Internetverbot wegen der besonderen Gefährlichkeit des Glücksspiels im Internet gegenüber dem herkömmlichen Glücksspiel (u.a. unbeschränkte Verfügbarkeit des Angebots, Bequemlichkeit, fehlender Jugendschutz) bereits festgestellt. Dass der Glücksspielstaatsvertrag nunmehr ein streng reguliertes Angebot von Sportwetten und Lotterien im Internet vorsieht, gibt keinen Anlass, diese Rechtsprechung zu ändern. Durch diese begrenzte Legalisierung soll der Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen gelenkt und der Schwarzmarkt für Glücksspiele im Internet bekämpft werden.


    Die darüber hinaus im Verfahren BVerwG 8 C 18.16 angegriffene Untersagung von Online-Sportwetten ist nicht zu beanstanden, weil die Klägerin nicht über die erforderliche Konzession verfügt und diese auch nicht beantragt hatte. Dies kann ihr entgegengehalten werden, weil das Erfordernis einer Konzession mit Verfassungs- und Unionsrecht vereinbar ist. Die Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags über die Erteilung von Konzessionen für die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten bewirken keine Diskriminierung von in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmern. Sie sind hinreichend klar, genau und eindeutig formuliert und setzen dem Auswahlermessen in ausreichendem Umfang Grenzen.



    BVerwG 8 C 14.16 - Urteil vom 26. Oktober 2017

    Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe muss einem Kind einen seinem individuellen Bedarf entsprechenden Betreuungsplatz nachweisen. Versäumt er dies, muss er gleichwohl die Aufwendungen für einen selbstbeschafften Betreuungsplatz nicht übernehmen, wenn diese Kosten von dem Kind bzw. seinen Eltern auch bei rechtzeitigem Nachweis zu tragen gewesen wären. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


    Die Mutter des im August 2011 geborenen Klägers zeigte bei der Landeshauptstadt München, der Beklagten, an, dass der Kläger ab dem 1. April 2014 einen Vollzeitbetreuungsplatz benötige. Daraufhin wies ihr die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe Ende Januar 2014 freie Plätze bei insgesamt sechs Tagespflegepersonen nach. Die Mutter des Klägers lehnte die Plätze ab, weil diese entweder zu früh schließen würden oder an einem Tag nicht geöffnet seien. Am 5. Februar 2014 meldeten die Eltern des Klägers diesen in einer privaten Tageseinrichtung an. Auf der Grundlage des Betreuungsvertrages wurde der Kläger ab dem 1. April 2014 in dieser Einrichtung in einem Umfang von 40 Wochenstunden frühkindlich gefördert. Dafür war ein Beitrag von monatlich 1 380 € zu entrichten. Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Erstattung eines Teils des entrichteten Beitrags abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil teilweise aufgehoben und insoweit dem Grunde nach Aufwendungsersatz zugesprochen. Das Bundesverwaltungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt.


    Ein Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Aufwendungen für einen selbstbeschafften Platz in einer Kindertageseinrichtung kann grundsätzlich aus einer entsprechenden Anwendung des § 36a Abs. 3 Satz 1 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) folgen, wenn der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung rechtzeitig über den Bedarf in Kenntnis gesetzt hat, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung vorgelegen haben und die Deckung des Bedarfs keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht bereits mit Urteil vom 12. September 2013 (BVerwG 5 C 35.12) entschieden.


    Die Voraussetzungen dieses Anspruchs waren hier erfüllt. Kinder, die das erste Lebensjahr vollendet haben, haben gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII bis zur Vollendung ihres dritten Lebensjahres Anspruch darauf, dass der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ihnen einen ihrem Bedarf entsprechenden Betreuungsplatz nachweist. Ein Recht, zwischen dem Nachweis eines Platzes in einer Tageseinrichtung und in Kindertagespflege zu wählen, besteht hingegen ebenso wenig wie ein Wahlrecht zwischen einem Platz in einer Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Trägers und einer Betreuung in einer privaten Einrichtung. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist bundesrechtlich nicht verpflichtet, dem Kind einen kostenfreien oder zumindest kostengünstigen Betreuungsplatz nachzuweisen. Ob der im Fall seiner Inanspruchnahme zu entrichtende Beitrag im Einzelfall finanziell zumutbar ist, ist nicht Gegenstand des Nachweisverfahrens. Zwar darf der von § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII verliehene Anspruch auf eine möglichst optimale Kinderbetreuung nicht dadurch gefährdet oder gar vereitelt werden, dass die Inanspruchnahme der nachgewiesenen Betreuungsstellen mit unzumutbaren finanziellen Belastungen verbunden wäre. Der Gesetzgeber hat sich aber dafür entschieden, dass die finanzielle Zumutbarkeit erst in einem eigenständigen Verfahren nach § 90 Abs. 3 und 4 SGB VIII zu prüfen ist. Danach soll u.a. ein in einer privaten Einrichtung zu entrichtender Teilnahmebeitrag ganz oder teilweise von dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden, wenn die Belastung dem Kind und den Eltern nicht zuzumuten ist. Bei der Auslegung und Anwendung dieser Bestimmung ist dem Zweck des Anspruchs auf Betreuung nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII mit besonderem Gewicht Geltung zu verschaffen.


    Obwohl die Selbstbeschaffung hier zulässig war, kann der Kläger nicht die Übernahme eines Teiles des für die Nutzung der gewählten Tageseinrichtung entrichteten Beitrags verlangen. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe muss nur diejenigen Aufwendungen für einen selbstbeschafften Betreuungsplatz übernehmen, die der Leistungsberechtigte im Falle des rechtzeitigen Nachweises nicht hätte tragen müssen. Hätte die Beklagte dem Kläger den von diesem beschafften Betreuungsplatz nachgewiesen, hätte sie ihrer Nachweispflicht mit der Folge genügt, dass der Kläger den vereinbarten Teilnahmebeitrag ebenfalls hätte entrichten müssen. Ob dieser Beitrag hinsichtlich der Höhe zumutbar war oder nach § 90 Abs. 3 SGB VIII (teilweise) zu übernehmen gewesen wäre, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.



    Urteil vom 26. Oktober 2017 - BVerwG 5 C 19.16 -